First we take Leipzig … Then we take Berlin

Im Januar 1989 spielte die Leipziger Indieband THE REAL DEAL (1987 – 1989) ihr erstes Konzert in Berlin. 1987 und 1988 waren Reininghaus und Müller schon mit ihrer früheren Formation REININGHAUS in der „Hauptstadt der DDR“ aufgetreten – mit unterschiedlichem Ergebnis und gemischten Gefühlen. Aber: Aller guten Dinge sind ja drei, wie das Sprichwort sagt.

Nun also erneut Berlin. Wie würde es werden? Auftrittsort war der Kinoklub „Gerard Philipe“ in der Karl-Kunger-Straße in Berlin-Treptow (das Gebäude ist 1995 abgebrannt). Die Veranstaltungsreihe hieß „x Mal: Musik zur Zeit“ und war das Mekka der Underground-Szene im Osten. Die „Independent Disco und Konzertreihe“ wurde 1986 u.a. von Ronald Galenza ins Leben gerufen. Aber lassen wir die Musiker selbst zu Wort kommen: Kai „Kaiman“ Müller (Schlagzeug) und Kai „Cairo“ Reininghaus (Gesang und Gitarren) erinnern sich.

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Müller & Reininghaus reden über alte Zeiten …

Warum ist gerade dieser Auftritt so wichtig?

Müller: Das hat mehrere Gründe. Damals war es für uns natürlich geil, in Berlin zu spielen. Und aus späterer Sicht: Es ist der einzige Gig von dem klasse Aufnahmen existieren, was die Soundqualität betrifft. Es gibt noch ein paar andere Mitschnitte, aber die reichen da lange nicht heran. Deshalb haben wir kurze Zeit später eine Tape davon veröffentlicht [By The Wall – The Real Deal Live] Und die Veranstaltungsreihe war ja auch nicht ohne …

Reininghaus: Ich kann mich gar nicht erinnern, ob uns damals klar war, was das für eine wichtige Institution in Sachen Indie war. x Mal Musik zur Zeit … auch der Titel ist mir erst aus späteren Jahren ein Begriff, also lange nach der DDR …

Müller: Naja, mal eben im Internet gucken und so, war ja nicht. Es gab – klar – Mundpropaganda. Man erzählte sich dies und jenes, aber so sehr waren wir ja nicht mit der ganzen Szene verbandelt. Vielleicht hatten wir in „Parocktikum“ [Musiksendung von Lutz Schramm im DDR-Rundfunk, die Indiemusik spielte und sich speziell auch dem DDR-Underground widmete] mal was darüber gehört. Aber das ist heute Spekulation.

Bevor die Unterhaltung weiter geht, erst einmal Musik von diesem Abend im Januar 1989: The Real Deal live mit WHY I’M NOT

Reininghaus: Jedenfalls sind wir über Ebi Fischel zu dem Gig gekommen. Das war „unser“ Mann in Berlin, der sich um Auftritte kümmerte. Das war super, Ebi hatte die richtigen Connections und konnte mit unserer Musik auch etwas anfangen. Und klar, Berlin war natürlich wichtig. Hier gab es eine Menge Underground-Bands, nebenan war der Westen – es war einfach wichtig, dass man in dieser Stadt spielte und bekannt wurde. Dementsprechend waren wir natürlich auch aufgeregt …

Real Deal Backstage in Berlin Januar 1989

The Real Deal backstage kurz vor ihrem Auftritt im Kinoclub „Gerard Philipe“ (Januar 1989). V.l.n.r.: Müller, Reininghaus und der Dicke. Ganz rechts im Bild ist Ebi Fischel – der Tourmanager. Weiter unten im Text gehen Kaiman und Cairo speziell auf dieses Bild ein …

Anfahrt mit Hindernissen, Mixer mit Herz

Müller: Schon die Hinfahrt war ein Erlebnis. Die ersten 20 Kilometer wunderten wir uns, warum der Trabbi, mit dem wir fuhren, überhaupt nicht aus den Puschen kam. Es war, als wenn wir die ganze Zeit bergauf mit einer ungeheuren Last führen. Klar, waren wir zusammen mit unserem Fahrer vier Leute und hatten einen kleinen Anhänger. Aber das war für den Trabbi eigentlich kein Problem. Wir hielten dann an einer Tankstelle. Irgendwie war uns die Sache nicht geheuer. Der Tankstellenwart kam, sah es sich an, sah uns an (Musiker!) und meinte dann nur, dass die Handbremse halb angezogen wäre – die hatte sich aus irgendeinem Grund nicht völlig gelöst. Ein bisschen hin- und hergeruckel und zack, ging unser Trabbi ab wie Schmidt’s Katze!

Reininghaus: Ja, das war schön. Vor allem, weil man damals ja von Leipzig nach Berlin eine Weile unterwegs war. Naja, wir haben’s schließlich geschafft. Dort angekommen, mussten wir natürlich erstmal unsern Kram aufbauen. Eine gute Anlage gab es und vor allem auch einen sehr fähigen Tontechniker! Dieter Huth hieß der. Haben wir gleich beim Soundcheck gemerkt. Ist ja für beide Seiten nicht so einfach: Man sieht sich zum ersten Mal, der Mixer kennt den Sound und die Soundvorstellungen der Band nicht. Aber das lief gleich gut. Der war richtig kreativ – man hört das gut auf den Aufnahmen, hat mit den richtigen Effekten gearbeitet, ohne dass es die Musik zerstört.

The Real Deal Live in Berlin 1989

Mixer von oben: D. Huth war für den guten Sound verantwortlich. Rechts oben im Bild ist Cairo’s Tapedeck zu sehen, was extra für diesen Abend aus Leipzig mitgebracht wurde.

Müller: Cairo hatte sein Tapedeck mitgebracht und wir hatten extra noch Westkassetten im Intershop besorgt. Bei vorigen Auftritten haben wir uns im Nachhinein immer mächtig geärgert, dass wir nicht aufgenommen hatten. Dieses Mal wollten wir alles richtig machen. Und für den Mixer war das gar kein Problem, er hat das Tapedeck direkt ans Mischpult angeschlossen. Tja, und es hat sich gelohnt, denn die Aufnahmen sind wirklich super und wir haben davon später ein Tape veröffentlich.

Reininghaus: Ja, die Aufnahmen sind toll. Deshalb ist dieser Auftritt auch im Nachhinein so wichtig – von den raren Livemitschnitten sind das die qualitativ besten. Leider aber gibt es nur sehr wenige Fotos und die sind eher unscharf. Irgendwas stimmte mit dem Fotoapparat nicht. Wir haben uns auch nicht wirklich darum gekümmert. Wir waren, was das betrifft, ziemlich naiv und nachlässig. Und sind heute froh, über jedes Bild, was noch existiert.

Hier ein weiterer Song von diesem Konzert: SEE YOU

Und nebenan: die Mauer …

Reininghaus: Nach dem Soundcheck hatten wir Zeit und wollten irgendwo etwas essen. Ich erinnere mich, dass der Klub ziemlich nah an der Mauer war. Dahinter war dann Kreuzberg, also vielleicht 20 Meter entfernt. Aber eben unerreichbar. Es war uns ja allen klar und wir waren damit aufgewachsen – Grenze, Mauer … und alles, was damit zusammenhing. Dieser ganze kranke Scheiss. Aber wenn man dann so direkt davor stand, war es doch etwas anderes. Naja, so richtig kamen wir auf der Ostseite gar nicht an die Mauer ran. Da kamen gleich Vopos oder Grenzer angeflitzt und man „durfte“ sich ausweisen (Bürger!). Mit diesen Eindrücken und Gefühlen sind wir dann in das Konzert gegangen.

Müller: Es gab auch einen Song in unserer Setlist, der das Thema „Freisein“, „Freiheit“ behandelt – THE LOOSE. Und das war natürlich schon eigenartig, direkt an der Mauer, diesen Song zu spielen.

Reininghaus: Und wir haben den Livemitschnitt von diesem Konzert ein paar Wochen später ja auch unter dem Titel BY THE WALL veröffentlicht. Hohoho! Klar, ein wenig Bauchkrummeln gab’s da schon. Von wegen Stasi und so. Die Mauer war ja nicht die „Mauer“ im offiziell genehmigten Sprachgebrauch, sondern der „antifaschistische Schutzwall“ – und man konnte da richtig Ärger bekommen. Man darf das heute auch nicht vergessen – das war alles kein Spaß. Die meinten das ernst. Gab ja genug Leute, die wegen solcher Sachen im Knast saßen.

The Real Deal Live in Berlin 1989 x mal Musik zur Zeit

Müller an den Drums, Reininghaus an der Gitarre – vom Gig selbst gibt es nur ein paar Fotos, und die sind meist auch noch unscharf – der Fluch der Technik (defekte Kamera).

Müller: Apropos THE LOOSE – wenn ich mich richtig erinnere, haben wir da zum ersten Mal diesen Song und danach NOBODY’S PERFECT gespielt … mit diesem Übergang … so ohne Pause.

Reininghaus: Oh ja, das war geil! Bin mir aber nicht mehr sicher, ob das improvisiert war oder ob wir das vorher so geprobt hatten. Jedenfalls haben wir das danach dann immer so gespielt …

Müller: Wir haben auch erst zuhause in Leipzig gemerkt, was wir da gemacht haben … als wir das Tape zum ersten Mal gehört haben. War ein echter Flash! Ich glaube auch, dass das Publikum ganz gut mitgegangen ist. Aber eher so zuhörermäßig. Also, man stand und sah sich das an.

Na, dann wollen wir uns doch gleich mal genau diesen Teil anhören: THE LOOSE und NOBODY’S PERFECT – live in Berlin, Januar 1989!

Reininghaus: Das war natürlich ein verwöhntes Publikum. Wenn ich mir heute die Liste anschaue, was da so an Bands spielte, krass. Es gab jede Woche Liveacts von irgendwelchen Indiebands! Auch aus dem Westen. Normalerweise flippten die Leute bei unseren Konzerten auch gerne aus und tanzten. Das war hier nicht so. Was uns oder mich ein wenig verwirrte. Aber nach jedem Song gab’s Applaus, also war’s wohl okay.

Liste Veranstaltungen Ost-Berlin 1989 (Ausschnitt aus dem Kultur-Kalender von Ronald Galenza)

Hier ein kleiner Ausschnitt, mit Konzertterminen in Berlin u.a. bei „xMal Musik zur Zeit“ (Ende 1988 / Anfang 1989). Quelle: Kultur-Tagebuch von Ronald Galenza. Link: http://beat-poet.de/pages/music/pop-poetics/kultur-kalender.php

Zeig doch mal die Bilder!

Müller: Was mir eben noch einfällt, wenn ich die Fotos sehe, ist, wie karg der Backstage-Bereich war. Nix mit Cathering oder so. Zumindest gab’s Getränke. Und du hattest `ne ziemliche Erkältung.

Real Deal 1989 in Berlin: Backstage im Kinoklub "Gerard Philipe"Reininghaus: Ja, mit doofen Halsschmerzen. Musste ich dann Tabletten einwerfen – die „guten“ Analgin … und der Rotwein dazu, war natürlich nicht ideal … Aber wir waren jung … Man kann auch sehen, was das für ein Wein war – „Kaminfeuer“ – aha! Und die Filmplakate sind auch klasse, naja, war ja eigentlich auch ein Kino. Aber das war im Osten zu dieser Zeit keine Ausnahme. Kinos waren groß, boten Platz und hatten eine Bühne.

Real Deal 1989 in Berlin: Backstage im Kinoklub "Gerard Philipe"Müller: Und guck mal, ist das hier ein Lötkolben, da auf dem Aschenbecher? Ja! Ich lach mich kaputt! War aber wichtig, wenn irgendein Kabel lose war … Schade, dass man nicht lesen kann, was auf der Setlist steht, welche Songs wir gespielt haben … Und die Zigaretten „Club“ und „Kenton Blau“ … Man, dass ist eine richtige Zeitreise!

Real Deal Backstage in Berlin Januar 1989Reininghaus: Das ist noch vor dem Konzert. Wahrscheinlich auch noch vor dem Soundcheck. Da sieht man mal einen Teil der Bühne. Lustig, mit diesen Treppenstufen. Links hinten neben dem Schlagzeug auf dem Bürostuhl steht mein Gitarrenverstärker. Das war so’n ziemlich kompaktes Teil. Eigentlich lächerlich von der Größe her, aber er hatte einen ganz guten Sound.

The Real Deal Live in Ostberlin 1989 - die Bühne im Kinoklub "Gerard Philipe"

Kurz nach dem Soundcheck.

Zeit für einen letzten Song von diesem denkwürdigen Konzert von THE REAL DEAL in Ostberlin: MAKING HEROES war an diesem Abend übrigens der finale Titel …

Reininghaus: Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, was nach dem Konzert war. Sind wir in Berlin geblieben, oder noch in der Nacht nach Leipzig gefahren? Wir haben später nochmal in Berlin gespeilt, im Frühjahr …

Müller: Stimmt! Im Schmenkelclub … da haben die Leute auch getanzt.

ABER das ist eine andere Geschichte.
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Das Konzert von 1989 auf Vinyl

Den legendären Gig im damaligen Ost-Berlin gibt es nun auf Platte! Schon als Tape seinerzeit erfolgreich und begehrt, erscheint erstmals eine limitierte Vinylausgabe des Konzerts auf Elbtal Records. Postpunk und Wavepop in erstaunlich guter Soundqualität, zeitlose und mitreisende Songs.

Dazu gibt’s ein vierseitiges Booklet mit vielen Fotos, der Bandstory und einem Interview mit Schlagzeuger Kai Müller und Sänger Kai Reininghaus. Vorbestellungen hier (Link zum Mailorder truemmer popo). 

Im Film unten erinnern sich Reininghaus und Müller u.a. an die turbulenten Stunden damals und die Nähe der Mauer. Das Video erschien erstmals im Rahmen der Vinylveröffentlichung auf der Heldenstadt Anders Website (FB).

 

Weitere Links & Geschichten zu THE REAL DEAL:

FIRST TAPE STORY! Alles zum ersten Tape (oder Kassette, wie man damals sagt), das im Februar 1988 erschienen ist.

FOTOSESSION IM TAGEBAU! Im Frühsommer 1988 gab es die erste (von zwei) richtigen Fotosessions mit den Jungs von Real Deal – an einem Ort, der heute komplett unter Wasser steht.

NOBODY IS PERFECT! Das zweite Tape von Real Deal erscheint im Oktober 1988 – wie wurde aufgenommen, wie entstand das Cover? Und: Musik + Bilder!