The Real Deal: Das erste Tape

Vor 35 Jahren war die Welt noch eine andere: Deutschland geteilt durch eine tödliche Grenze und das Internet, das Internet? Nicht vorhanden. Unvorstellbar? Nein, einfach nur die Realität. In Leipzig hatten drei junge Typen gerade eine Band klammheimlich gegründet (Dezember 1987): THE REAL DEAL. Songs entstanden, man probte bis die Finger bluteten und im März 1988 war es dann soweit – das erste Tape (damals noch Kassette) war fertig! Und es entstand genau da, wo die Jungs sich sowieso am meisten aufhielten: im Proberaum. Kai und Kai von Tirsa Perl erzählen hier die kleine Geschichte dieser historischen Aufnahmen. Zwischendurch und am Schluss (ein ganzes Paket!) gibt es Songs von diesem Debut. Denn über Musik kann man viel erzählen, vor allem aber sollte man sie hören.

Kai und Kai (Tirsa Perl) in Berlin - Proberaum Ziegrastrasse.

Kai & Kai erinnern sich …

Eine „heimliche“ Band?

Kai Müller: Eigentlich hatten wir zu dieser Zeit noch unsere „Hauptband“ (REININGHAUS mit Johannes Ackner, Robert Gläser, Frank Heyner und Robert Hoffmann), traten live auf und so weiter. Wir hatten gerade unseren Proberaum verloren. Der war in einem Abrisshaus in Gohlis und nun war das Haus wirklich abgerissen worden. Unseren ganzen Kram hatten wir im Klubhaus, in dem Cairo arbeitete („Arthur Hoffmann“ in der Steinstraße, Connewitz), untergestellt. Tja, und eines schönen Tages saßen wir da zu zweit und der Dicke war auch da. Der war eigentlich bei REININGHAUS Roadie. Wir begannen also ein bisschen zu jamen. Der Dicke nahm sich einfach Roberts Bass und stieg mit ein. Ich wusste gar nicht, dass er spielen konnte. Na, jedenfalls lief das irgendwie gleich gut. Aber, dass daraus eine richtige Band werden sollte, war gar nicht klar. Und den anderen sagten wir auch erst mal nichts.

Cairo Reininghaus: Ich merkte schnell, dass wir gut zusammen harmonierten. Da gibt es immer ein paar ganz bestimmte Signale, ob man miteinander Musik machen kann oder eben nicht. Etwas später lernte ich meine Frau kennen (Felicitas) und eines kam zum anderen. Ich war total geflasht, auf einem Höhenflug und schrieb jede Menge Songs …

K.M.: Ich glaube, Cairo vermisste das und er sagte mir auch, dass er gerne wieder Gitarre spielen würde. Bei REININGHAUS war er ja „nur noch“ Sänger. Wir hatten da  Frank und diverse Gastgitarristen. Dazu noch ein Keyboard … manchmal waren wir sieben Leute auf der Bühne.  Angefangen hatten wir ja zu viert, nun war das ein richtiger Wanderzirkus … (lacht).

C.R.: Ja, in der Tat. Ich merkte auch, dass die Musik, die ich jetzt schrieb, nicht zu REININGHAUS passte. Wir hatten uns einfach in eine andere Richtung bewegt und ich war mir nicht mehr sicher, ob das meine Richtung war. Und da kam so ein Nebenprojekt genau richtig. Ich konnte ausprobieren und schauen, was passiert. Und es passierte ziemlich schnell, ziemlich viel.

K.M.: Cairo kam zu jeder Probe mit einem oder zwei neuen Songs. Das war irre.

C.R.: Ein paar Wochen später, Ende Februar, hatten wir dann zwölf Songs einigermaßen auf der Pfanne. Nebenbei probten wir ja auch mit REININGHAUS weiter und spielten Gigs … ich weiß wirklich nicht, wie wir das damals alles hinbekommen haben.

K.M.: Und haben ja auch noch einen neuen Proberaum bezogen. Der war in der Auenstrasse (heute Hinrichsenstrasse). Das war natürlich auch wieder ein Abrisshaus, aber im Hinterhof. Ich hatte da Jahre zuvor mal mit einer anderen Band geprobt. Den haben wir uns nun wieder hergerichtet.

Hier erst einmal Musik: SHE’S CRAZY war einer der ersten Songs, den Cairo für REAL DEAL schrieb. Die Aufnahme stammt vom Februar 1988 und wurde einen Monat später auf dem ersten Tape der Band veröffentlicht. Cairo: „Das ist eine Art Umweltprotestlied … es geht um die Luftverschmutzung. Die war in Leipzig zu dieser Zeit ziemlich krass. Und auch sonst, wenn ich an die Gewässer denke. Da ist also die geschundene und müde Erde, die schlaflos durch das Universum kreist und diesen ganzen Quatsch von uns Menschen so satt hat … naja, ziemlich naiv … aber leider immer noch aktuell.“

The Real Deal: Fotosession in einem Tagebau bei Leipzig, Sommer 1988 (Reininghaus, Kaiser, Müller v.l.n.r.)

The Real Deal: Fotosession in einem Tagebau bei Leipzig, Sommer 1988 (Reininghaus, der Dicke, Müller – v.l.n.r.)

Wie müssen wir uns denn dieses Abrisshaus vorstellen? Gab es da Strom? War es dort sicher?

K.M.: Das war einfach eine Bruchbude, die von der kommunalen Wohnungsverwaltung aufgegeben worden war und seit Jahren „leer“ stand. Strom und Wasser waren eigentlich abgestellt. Das heißt, der Strom floss bis zu den jeweiligen Verteilern im Haus und war dann „abgetrennt“. Wir fanden heraus, dass man nur an den Verteiler ran musste (die waren jeweils oberhalb der Eingangstüren zu den einzelnen Wohnungen angebracht), vorsichtig den Deckel entfernen und dann die Drähte wieder anschließen musste. Eine Fummelarbeit, nicht ganz ungefährlich und klar, verboten. Aber es funktionierte. Wasser allerdings gab es wirklich nicht, was hygienisch gesehen ein wenig hinderlich war …

Reininghaus - Fotosession in Leipzig (1987/1988)

Hier sieht man das Abrisshaus in Leipzig. Das Foto entstand während einer Fotosession der Band „Reininghaus“. (v.l.n.r.: Kai Reininghaus, Johannes Ackner, Frank Heyner)

C.R.: Oh ja, die Toilette war ein Ort, den man nur in allerhöchster Not besuchte … Diese Verteilerkästen hatten übrigens auch so’ne Sicherheitsblombe, die nicht beschädigt werden durfte. Das war also immer die Prozedur vor jeder Probe und danach. Denn falls irgendwer kontrollieren sollte, musste alles unverändert aussehen. Das lief so räuberleitermäßig … wir waren da ziemlich schnell sehr fix darin. Zack, ich auf den Dicken, Schraubenzieher raus und los …
Natürlich war das alles irgendwie strange. In der Wohnung lagen noch Sachen von Leuten, die vor Jahren wohl hier gewohnt hatten. Möbel, Klamotten, Bilder, Briefe … Es war eigenartig. Und klar,  hatten wir Sorge, dass man dort einbrach und unsere Technik verschwinden würde. Wir konnten ja nicht jedes Mal Verstärker, Schlagzeug und den ganzen Kram mitnehmen. Wir hatten im alten Proberaum in Gohlis (Lindenthaler Strasse) schon einen Einbruch erlebt, allerdings waren wir da mit einem blauen Auge davon gekommen.

K.M.: Man konnte ja auch niemanden dann informieren oder so, also meinetwegen die Polizei … das war alles total illegal und verboten. Aber wir haben die Tür verstärkt und eine Batterie von Schlössern angebracht. Und außerdem waren wir nicht ganz allein in der Bude. Über uns hatten sich Kraftsportler einen illegalen Trainingsraum eingerichtet …

C.R.: Ja, das war lustig, wenn die Herren immer hochgestiefelt sind und wir uns auf der Treppe begegneten. Das war nicht so, dass die unbedingt auf unsere Musik standen (die hörten sie ja oft genug), aber man respektierte sich. Ich wundere mich übrigens heute noch, dass uns keiner von den Mietern im Vorderhaus verpfiffen hat. Es war ja klar, wenn wir durch die Toreinfahrt mit Gitarrenkoffern marschierten und im abgefuckten und verbotenen Hinterhaus verschwanden, dass das nicht koscher war …

K.M.: Naja, manchmal haben die schon komisch geguckt … vor allem, wenn wir nachts nach einem Auftritt den ganzen Krempel von der Straße ins Hinterhaus geschleppt haben. Das war nicht unbedingt leise. Aber stimmt, es ging bis zum Schluss alles gut.

Stop. Pause. Musik: THE GIRL ist ein weiterer Track vom ersten REAL DEAL-Tape. Cairo schrieb ihn im Januar 1988: „Das ist ein Liebeslied. Ich hatte kurz zuvor meine Frau kennengelernt und Schmetterlinge im Bauch, wir schwebten im siebenten Himmel. Felicitas fand auch das ganze Musikding gut und war immer mit dabei. Wir waren quasi vom einen auf den anderen Tag unzertrennlich.“

Zurück zum Thema: Warum wolltet ihr so früh eine Kassette aufnehmen? Ihr wart ja erst ein paar Wochen zusammen.

K.M.: Ich glaube, Cairo kam mit der Idee, aufzunehmen. Aber von einem Tape war da noch nicht die Rede. Wir wollten einfach mal schauen.

C.R.: Ich hatte große Lust auf die ganze Sache. Ich fand (und finde) diesen ganzen Recording-Prozess total spannend. Wir hatten mit REININGHAUS knapp ein Jahr zuvor in einem Studio aufgenommen. Da waren wir ja „nur“ die Ausführenden, um den Mix und das Aufnehmen haben sich andere gekümmert. Mit REININGHAUS wäre das auch schwieriger gewesen. Wir waren sechs Leute und die in einem einfachen Proberaum aufzunehmen war schlichtweg technisch zu dieser Zeit für mich nicht möglich.

K.M.: REAL DEAL waren da pflegeleichter … drei Typen und ganz klassisch: Schlagzeug, Gitarre, Bass, Gesang …

C.R.: Genau, das war überschaubar und mit unserem Equipment auch zu handeln. Jedenfalls dachte ich, hey, wir haben genügend Material, lasst uns das mal festhalten!

Apropos Equipment – was für Technik habt ihr verwendet? Waren Mehrspuraufnahmen möglich?

C.R.: Mehrspur-Recording? Haha … Nein, im Ernst, heute ist das ja nur noch schwer vorstellbar. Mittlerweile kann man mit einem überschaubaren finanziellen Einsatz professionell über den Computer ´zig Spuren aufnehmen und zusammenschneiden und loopen etc. Damals geschah das alles eher intuitiv, es gab ja kein Internet, wo man hätte schauen können oder ein Tutorial auf  YouTube ansehen …

K.M.: Obwohl, diesen ganzen Overkill an Infos heute finde ich auch schwierig, das kann manchmal ganz schön abschrecken. Wir haben’s einfach gemacht … (lacht)

Real Deal First Tape Recording Stuff

Recording Stuff 1988: Der 6-Kanal-Monomixer von Vermona (Mono!) hatte einen integrierten Verstärker und kostete 2500 Mark der DDR! Daneben sieht man das Kassettendeck (JVC) auf dem aufgenommen wurde.

C.R.: Wir hatten einen 6-Kanal-Mischpult (Vermona Regent 1060) mit eingebauten 100-Watt-Verstärker über den wir auch sonst probten. Das Ding war Mono und hatte einen Halleffekt eingebaut. Ich wollte mein gutes JVC-Kassettendeck als Aufnahmegerät mitnehmen und hatte mir vorher einen Plan gemacht …

K.M.: Ja, stimmt. Du hattest aufgemalt, wo wir stehen und wie viele Mikrofone jeder bekam … ich sehe das karierte Blatt noch vor mir.

C.R.: Wir hatten ja nicht so viele Mikrofone und ich musste die Anzahl wissen und auch, was an Kabeln nötig war. Klar war, dass wir jeden Song immer komplett aufnehmen mussten. In einem Ritt. Wie gesagt, Mehrspurrecording war nicht (also erst die Instrumente und dann den Gesang und so weiter nacheinander aufnehmen) und wir hatten sechs Eingänge. Das hieß zwei für Gesang (für mich und den Dicken), jeweils einen für Gitarre und Bass, macht vier. Zwei blieben also noch für das Schlagzeug. Das war eigentlich zu wenig …

K.M.: Dann haben wir uns überlegt, dass wir noch so einen kleinen Mini-Mixer dazwischenpacken. Den haben wir uns geliehen. Der hieß Disco 2000, ganz einfaches Teil, vier Eingänge, vier Lautstärkeregler. Und damit konnten wir das Schlagzeug mit vier Mikrofonen abnehmen. Das waren alles sogenannte „Schwarzwurzeln„, so DDR-Teile. Die waren nicht überragend, aber okay. Nur Cairo hatte für seinen Gesang ein besseres Mikro …

C.R.: Stimmt. Das „Teac“ – ein Westteil, hatte ich für 1000 DDR-Mark gekauft von diesen Elektromusikern, die bei unserer WG in Gohlis gegenüber gewohnt haben … das Geld hatte ich mir von meiner Oma geliehen. Die hatte immer ein offenes Ohr für meine Musikambitionen …

Weiter mit Musik: THE WALL – der Song mit dem Saxofon. Kai Müller: „Den hatten Cairo und ich schon mal vor langer Zeit gejamt. Aber nur so Fragmente, noch vor REININGHAUS. Jetzt spielten wir ihn klassisch, also der Dicke den Bass, Cairo Gitarre. Ohne Gesang. Das war irgendwie unspektakulär. Schließlich brachte der Dicke sein Saxofon mit und spielte. Wir machten große Augen. Hey, dass ist cool! Und so nahmen wir ihn dann auf – Cairo spielt da den Bass … und wir haben ganz viel Hall auf der Aufnahme.“

The Real Deal: Fotosession Sommer 1988 in einem Tagebau bei Leipzig

The Real Deal: Fotosession Sommer 1988 in einem Tagebau bei Leipzig (Müller, der Dicke, Reininghaus v.l.n.r.)

Ein eindrucksvolles Foto! Lasst uns doch noch kurz auf das Cover zu sprechen kommen …

K.M.: Das Foto ist bei einer Session in einem Tagebau in Markkleeberg im Frühsommer 1988 entstanden. Da ist heute überall Wasser … [Hinweis: Dazu gibt es eine eigene Story: Fotosession im Tagebau einfach hier klicken]

C.R.: Wie ich auf die Idee mit dem roten Streifen gekommen bin, weiß ich nicht mehr genau. Irgendwie hat mir das gefallen … Ich habe eine Weile herumprobiert. Die ersten Versionen waren ganz plump, so skizzenartig, gemalt. Später half der Zufall: Wir hatten im Klubhaus („Arthur Hoffmann“ in der Steinstraße, Connewitz) in dem ich gearbeitet habe, Einladungskarten für eine Vernissage drucken lassen. Und da waren einige Streifen übrig. Ich fand das Papier klasse, so leicht glänzend und eine Art dünner Karton. Das lag eine Weile auf meinem Schreibtisch herum. Schließlich kam noch das rote Klebeband hinzu (woher das allerdings stammt, weiß ich wirklich nicht mehr). Es war eine ganz einfache Geschichte, aber sehr wirkungsvoll.

The Real Deal Tape 1 Cover Skizze (c) Kai Reininghaus 1987

Work in progress: So sah eine erste Version des Covers aus.

Und hier die finale Version des Covers der ersten Kassette von Real Deal. Alle Angaben zu den Songs, der Band und so weiter hat Cairo per Schreibmaschine direkt auf die dünne Pappe getippt. Auf den ersten Exemplaren gab es allerdings noch keine Fotos – erst später.

The Real Deal Tape 1 Cover 1988 (c) Kai Reininghaus

Hier noch einige weitere Songs des ersten Tapes vom März 1988. Viel Spaß!

Links zu weiteren Real Deal – Stories:

 

 

 

Nobody Is Perfect

Im Oktober 1988 veröffentlichte die damalige Leipziger Indieband The Real Deal ihr zweites Tape. NOBODY IS PERFECT erschien so nur sechs Monate nach dem Release des Debuts. Ein irres Tempo, wenn man sich die Anzahl der Songs anschaut. Und dazu kamen ja noch das Cover, Fotosessions und natürlich Auftritte. Wie das alles möglich war, erzählen Cairo und Kaiman hier. Und Songs von damals gibt es natürlich auch …

Kaiman und Cairo in 2018 Berlin Foto Felicitas ReininghausWie kommt es, dass Ihr so schnell genügend Songs für ein neues Tape zusammen hattet?

Kaiman Müller: Stimmt, wenn man das aus heutiger Sicht betrachtet, ist das krass. Aber damals verbrachten wir viel Zeit mit der Band, vor allem im Proberaum und Cairo kam ständig mit neuen Ideen an.

Cairo Reininghaus: Wir hatten einen Lauf. Ich schrieb immer an neuen Sachen, es war wie ein Ventil, was auf einmal geöffnet war. Wir waren ja nur drei Leute, mussten uns nicht ewig mit unterschiedlichen Meinungen aufhalten. Bass, Schlagzeug, Gitarre und Gesang. Das wars. Beim ersten Tape hatten wir noch Saxofon und Klarinette. Bei den neuen Songs ließen wir das weg. Wir waren aufeinander eingespielt, waren insgesamt sicherer geworden.

Hören wir zunächst mal einen Song vom Tape: Nobody’s Perfect ist der Titelsong des tapes und war live ein „echter kracher“, wie die beiden sich gern erinnern. das ist einer der songs, den cairo und kaiman auch noch heute mit ihrem tirsa perl-projekt spielen. hier aber das original:

Gab es Vorbilder in Sachen Sound?

C.R.: Klar, ich fand den Sound der späten 70iger gut. „Going Underground“ von The Jam zum Beispiel und „London Calling“ (The Clash). Die sind so kraftvoll, warm und knackig abgemischt. Das gefiel mir. Aber auch Joy Division, was ja eher eine kühlere und sterile Atmosphäre ausstrahlt. Mir war schon bewusst, dass diese Songs in High-End-Studios über Wochen hinweg aufgenommen worden waren. Das ganze Equipment und so weiter. Das war ja bei uns rudimentär, mit dem 6-Kanal-Vermona-Mono-Mixer. Bestenfalls konnte man sich da annähern. Aber das war die Inspiration und die Richtung. Und so sind wir es angegangen …

Das bedeutet, grundsätzlich hatte sich an den Aufnahmebedingungen im Vergleich zum ersten Tape nicht viel geändert?

K.M.: Nicht wirklich. Für’s Schlagzeug hatte ich zumindest zwei spezielle Mikrofone irgendwo aufgetrieben. Für die Bassdrum und die Snare. Die waren uralt und es stellte sich heraus, dass ihre Leistung nicht ganz so war, wie wir uns das vorgestellt hatten. Vielleicht lag’s auch an unserem Mixer, dass der nicht wirklich kompatibel war. Cairo wollte nämlich einen fetteren Snaresound. Da habe ich mir mal eben die Snare von einem anderen Schlagzeug ausgeliehen, die hatte ein größeres Volumen. Das Schlagzeug stand da nämlich seit einiger Zeit – also in einem anderen Zimmer des Abrisshauses und irgendein Typ übte da hin und wieder.

C.R.: Und der Unterschied war wirklich zu hören. Jedenfalls hatten wir aufnahmetechnisch so ungefähr die gleichen Sachen wie beim ersten Tape. Also ein 6-Kanal-Mono-Mischpult (Vermona Regent 1060) mit eingebauten 100-Watt-Verstärker und einem Halleffekt. Als Aufnahmegerät diente ein JVC-Kassettendeck

K.M.: Ja, und Cairo hatte eine Zeichnung, wo wir stehen sollten und wie viele Mikrofone jeder bekam. War ja alles limitiert. Klar war, dass wir jeden Song immer komplett aufnehmen mussten. Mehrspurrecording war nicht (also erst die Instrumente und dann den Gesang und so weiter nacheinander aufnehmen) und wir hatten sechs Eingänge am Mischpult. Sechs! Dass bedeutete zwei für Gesang (für Cairo und den Dicken), jeweils einen für Gitarre und Bass, macht vier. Die restlichen zwei für meine Drums waren zu wenig. Da hatten wir dann einen kleinen „Zwischenmixer“ eingeschleift (ein sogenannter Disco 2000), ganz einfaches Teil, vier Eingänge, vier Lautstärkeregler. Und die Mikrofone waren alles „Schwarzwurzeln“ – so DDR-Teile. Nicht überragend, aber okay. Nur Cairo hatte für seinen Gesang ein besseres Mikro … so ein Westteil …

K.R: Das war ein Teac – für 1000 DDR-Mark!

Real Deal First Tape Recording Stuff

Recording Stuff: Der 6-Kanal-Monomixer von Vermona (Mono!) hatte einen integrierten Verstärker und kostete 2500 Mark der DDR! Daneben sieht man das Kassettendeck (JVC) auf dem aufgenommen wurde.

Gab es keine anderen Aufnahmemöglichkeiten, professionelle Studios etc.?

K.R.: Wahrscheinlich schon. Wir waren ja mit „Reininghaus“ auch in einem Studio. Aber das Arbeiten im Proberaum (ein Abrisshaus in der Auenstrasse, heute Hinrichsenstraße) war uns vertraut, also die Räumlichkeiten. Und wir konnten da ausprobieren, wie wir wollten. Das hatte ja beim ersten Tape gut geklappt und mir machte der Recordingprozess großen Spaß. Im Studio gibt es ja doch Abhängigkeiten und gewisse Vorgaben, das hat gute und weniger gute Auswirkungen. Hier waren wir total frei, hatten aber natürlich auch im Blick auf das Equipment Einschränkungen.

K.M.: Und das direkte Aufnehmen, also ohne Overdubs, ist natürlich auch was Besonderes. Man fängt den unmittelbaren Moment ein. Nichts kann mehr verändert werden …

C.R.: Hinzu kommt, dass wir auch nur eine Kassette hatten. Chromdioxid, 60 Minuten aus dem Westen. Musste sein, wegen der besseren Qualität. Die fielen ja auch nicht vom Himmel … Wir mussten also genau überlegen, welche Version eines Songs wir lassen. In der Regel hatten wir Platz für zwei Takes pro Song. Wir spielten also, hörten uns das Resultat an und überlegten ob wir es nochmal besser hinbekommen und so weiter. Klar, dass da der eine oder andere kleine Patzer sich nicht vermeiden ließ. Der blieb dann eben auf dem finalen Take. Was aber auch seinen Charme hat …

Das original Aufnahmetape zu "Nobody Is Perfect - eine 60 Minuten Chrom-Kassette aus dem Wester!

Das Original Aufnahmetape der Nobody Is Perfect – Session: Eine 60 Minuten-Chrom-Kassette aus dem Westen!

Und wie muss man sich dann das Aufnehmen vorstellen?

Berlin 2018: Kaiman und Cairo reden über alte Zeiten. Foto: Felicitas Reininghaus

Berlin 2018: Kaiman und Cairo reden über alte Zeiten. Foto: Felicitas Reininghaus

K.M.: Reine Aufnahmezeit waren es vielleicht acht Stunden. Die Vorbereitungen haben ja schon eine Ewigkeit gedauert … also das Aufbauen der Mikros und dann das Einpegeln. Cool war, dass unser Proberaum noch eine Art extra Zimmer hatte, was hier ein großer Vorteil war.

C.R.: Das war so’n ganz schmaler Schlauch. Wichtig war ja, dass das Schlagzeug nicht auch noch über die Gesangs-Mikrofone mit aufgenommen wurde. Das hätte übel auf der Aufnahme geklungen. So saß also Kaiman mit seinen Drums im normalen Proberaum und der Dicke [Spitzname des damaligen Bassisten] und ich standen mit unseren Instrumenten im anderen „Zimmer“. Das war verdammt eng. Dort hatten wir ja auch den Mixer, das Kassettendeck und die Gesangsmikrofone aufgebaut. Unsere Verstärker (Gitarre und Bass) waren mit im großen Raum. Kaiman konnte uns durch so’ne kleine Plexiglasscheibe sehen. Die war aus irgendwelchen Gründen von den Leuten, die früher hier mal gewohnt hatten, eingebaut worden. Und überall die Kabel um uns herum. Sehr abenteuerlich.

K.M.: Jedenfalls musste alles in einem Ritt laufen, wir hatten nämlich Angst, dass man uns die Sachen klauen könnte, wenn wir über Nacht gegangen wären. Das war ja so’n abgefucktes Abrisshaus. Dann haben wir’s also durchgezogen. Bis tief in die Nacht … oder den frühen Morgen … Song für Song. Krass …

Hier ein weiterer Song vom tape: WHY I’M NOT! klar, kämpferisch & ohne kompromisse

Wie entstand das Cover?

K.M.: Thomas Fischer, ein Arbeitskollege von mir damals bei der Werbeabteilung des Konsums, hatte uns gerade einen Stapel Aufkleber vorbeigebracht – die hatte er im Siebdruckverfahren hergestellt und wir fanden sie klasse. Cairo nahm sich gleich einen und meinte, dass würde auch gut für’s Cover passen …

Das Cover zum Tape "Nobody Is Perfect" der Leipziger Band The Real Deal (1988)

C.R.: Das erste Cover war weiß gewesen, dieses Mal wollte ich es schwarz haben. Dafür hatte ich Fotokarton besorgt. Aber so ganz schwarz war dann doch langweilig. Also habe ich den Aufkleber mit dazugebracht und es war perfekt. Für den Innenteil wollten wir ein aktuelles Foto von uns nehmen. Allerdings zog sich das noch ein wenig hin … so dass die ersten Tapes, die rausgingen, innen nur einen „Beipackzettel“ hatten, also mit den Angaben zu den Songs. Ganz schmucklos, so mit Schreibmaschine getippt, ausgeschnitten und aufgeklebt. Eine Notlösung … aber wir wollten unbedingt bei den laufenden Auftritten das neue Tape schon dabeihaben.

K.M.: Stimmt … wir hatten ja auch immer wieder Konzerte. Damals gab es ja nicht so ein richtiges Touren. Man hatte einzelne Auftritte. Manchmal noch einen „Anschluss“, also an zwei Tagen hintereinander … ein irrer logistischer Aufwand.

Wodurch kam die Verzögerung?

K.M.: Die Fotosession war erst Anfang November. Wir hatten bei einem Konzert einen Fotografen kennengelernt (Michel Du Chesne), der gerne mit uns arbeiten wollte. Der hatte auch gleich eine Location im Visier, das Uniklinikgelände am Bayerischen Bahnhof. Damals schön verfallen und sehr morbide.

C.R.: … und ein bisschen gruselig. Da sind einige Bilder entstanden. Eines haben wir dann für das Innencover ausgesucht, ich habe mit Rubbelbuchstaben den Text auf eine durchsichtige Folie geschrieben (eine Hundearbeit) … und so war’s dann endlich komplett.

Bilder der Fotosession vom November 1988 in Leipzig (fotos: michel du chesne). Neben Müller und reininghaus war damals noch „DER DICKE“ (D.K.) am bass dabei.

The Real Deal: Fotosession in Leipzig mit Michel Du Chesne (1988)The Real Deal: Fotosession in Leipzig mit Michel Du Chesne (1988)The Real Deal: Fotosession in Leipzig mit Michel Du Chesne (1988)Wie kamen denn die Tapes dann an die Leute?

K.M.: Wie gesagt, das lief bei den Konzerten. Wir hatten einen kleinen „Merchandising“ Koffer dabei – so’n handliches Teil, mit Fotos, Postern und eben den Tapes. Das waren keine Massen, denn man musste das ja alles selbst kopieren …

C.R.: Genau. Und Leer-Kassetten waren in der DDR enorm teuer. Ein normales 60-Minuten Tape kostete 20 Mark! Das war richtig viel Geld, wenn man sich überlegt, das wir für unsere WG in Gohlis (2,5 Zimmer + Küche und WC auf halber Treppe) zum Beispiel 35 Mark Miete gezahlt haben. Ich habe dann in einem Laden für Bastelbedarf entdeckt, dass man das Material auch einzeln kaufen konnte. Also Kassettengehäuse, das Band, die Rollen etc. Das gab es in einer Packung für jeweils 3 Kassetten. War eine fisselige Angelegenheit, alles zusammenzusetzen. Aber natürlich viel günstiger. Dazu dann immer die Cover gebastelt, gefaltet und eingelegt – jedes einzelne Tape war absolute Handarbeit! Directly from the artist – wie man das später so schön umschrieb … direkter ging es ja gar nicht mehr.

Nun haben wir soviel geredet! Und dabei das Wichtigste, die Musik, fast aus den Augen verloren. Deshalb jetzt gleich mal vier Songs am Stück … viel Spaß!

Island In The Sun ist der traum von einem fernen land ohne grenzen, ohne polizei …

The Loose kommt bis auf den Schluss ohne Worte aus und spielt inhaltlich mit dem Begriff des „Freiseins“

see you – eine schicksalhafte Begegnung in einer nicht endenden nacht

My Opinion hat sich zum Klassiker entwickelt. Inhaltlich dreht sich alles um alles und nichts um nichts – grundsätzlich aber um den Verlust der Seele und der eigenen Meinung. Die Version hier ist neu: Cairo und Kaiman haben sie mit ihrem aktuellen gemeinsamen Projekt TIRSA PERL 2016 aufgenommen (veröffentlicht auf „in the not too distant future“ – cd & download)

Weil’s so schön war, gibt’s hier die Songs noch einmal komplett als eine Musikdatei (!) … und sogar noch einem Bonustitel mehr am Schluss … insgesamt 20 Minuten DDR – IndiePop am Stück! Voila! Viel Spaß beim Hören!

Soweit erst einmal … bis demnächst irgendwo auf dieser Seite.
Infos zum ersten Tape THE REAL DEAL (März 1988) hier.

The Real Deal Tape 1 Cover 1988 (c) Kai Reininghaus

Infos zu REININGHAUS (1986-1988) – dem ersten Bandprojekt von Cairo & Kaiman

Die Band Reininghaus aus Leipzig 1987

Videos & Infos zu TIRSA PERL – dem aktuellen Leipzig-Berlin-Musicprojekt von Cairo & Caiman hier (Link geht zu YouTube)

 

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Fotosession im Tagebau

Im Juni 1988 wird ein damaliger Tagebau in der Nähe von Leipzig zur Kulisse für die erste Fotosession von THE REAL DEAL. Cairo erzählt, wie es dazu kam.

cairo: Wir hatten im März 1988 unser erstes Tape veröffentlicht, einige Auftritte gespielt – doch was uns fehlte, waren Fotos. Heute unvorstellbar, überall und immer wird fotografiert. Doch damals waren wir da zurückhaltender. Zum Beispiel zu den Aufnahme-Sessions zum Tape im Proberaum, kein einziges Foto. Die ersten Gigs? Keine Bilder. Niemand dachte daran, wir waren einfach noch nicht so medial in unserem Denken. Und als es mit REAL DEAL dann alles ernster wurde und REININGHAUS auseinanderging, war es uns auf einmal klar: Wir brauchen Fotos. Schnell. Zum Beispiel für Plakate oder so.

Real Deal - Fotosession im Tagebau: Das Bild wurde später als Hintergrund für die Konzert-Plakate der Band benutzt.Warum als Location ein Tagebau?

cairo: Felicitas, meine Frau, wohnte da ganz in der Nähe und wir waren öfters bei unseren Entdeckungsspaziergängen da vorbeigekommen. Ich fand das total beeindruckend. Wenn man ganz hinunter kletterte, sah es aus, als würde man inmitten einer bergigen Landschaft stehen. Das hatte so etwas von den Highlands, also zumindest wie man sich das als DDR-Bürger damals so vorstellte … Ich fand das total spannend. Und es war auch mal was anderes als Abrisshäuser, Proberaum und so weiter. Das habe ich den anderen beiden erzählt und gezeigt. Sie waren auch gleich hingerissen.

Real Deal - Fotosession im Tagebau: Heute ist das der Grund des Markkleeberger Sees.War der Tagebau noch in Betrieb, also gab es da keine Probleme?

cairo: Das weiß ich nicht mehr, vielleicht standen da Schilder von wegen „Betreten verboten!“ Bestimmt sogar. War ja eigentlich die Regel. Aber ich kann mich nicht erinnern.

Wie lief die Session?

cairo: Das war an einem Samstag oder Sonntag. Ein Bekannter von Kaiman (C. Bielitz) war wohl Hobbyfotograf und kam mit seiner Ausrüstung vorbei. Also einfach einer Kamera. Und dann haben wir ein wenig gepost. Haben mal da und mal dort gestanden und so weiter und so fort. Es war ein netter Spaß. Und ob die Bilder was wurden, wusste man ja erst nach dem Entwickeln … es blieb also ein paar Tage spannend. Cool war, dass Felicitas – die auch mit dabei war – das ganze so aus dem Blick des Zuschauers mit einer ganz kleinen Kamera fotografierte. Da kamen ein paar sehr schöne Schnappschüsse bei raus.

Real Deal - Fotosession im Tagebau: Schnappschuss mit Fotograf (ganz links) von Felicitas.

Schnappschuss der Fotosession (Juni 1988) in einem Tagebau bei Leipzig. (v.l.n.r.: der Fotograf, Reininghaus, der „Dicke“ (D.K.), Mueller. Foto: Felicitas Reininghaus)

Heute sieht es da ja ganz anders aus …

cairo: In der Tat! Da wo wir standen, ist heute ein riesiger See entstanden – der Markkleeberger See. Die Aufnahme fanden so ungefähr in Höhe des Strandbades Markkleeberg Ost statt. Wir waren da mal vor ein paar Jahren. Das ist schon strange. Na jedenfalls, ist das dann auch was einzigartiges … versunken im Sand (oder dem Wasser) der Zeit …

Real Deal - Fotosession im Tagebau: Seen und Berge - ein bißchen Highlands-Flair inklusive.

Der Tagebau nahe Leipzig am Tag der Fotosession (Juni 1988). Heute ist das alles unter Wasser.

Was ist aus den Bildern geworden?

cairo: Sie sind eine wunderbare Erinnerung! Und damals haben wir sie für Plakate genutzt, für das zweite Tape (NOBODY IS PERFECT – erschienen im September 1988) oder einfach auf Konzerten Abzüge davon verkauft.

Real Deal - Fotosession im Tagebau: Einfach mal nur so rumsitzen ...Real Deal - Fotosession im Tagebau: Gruppenbild mit Dame (na, wo ist sie?)Ein Song zum Schluss: ANOTHER WAY ist ein Song vom ersten Real-Deal-Tape (im März 1988 erschienen). Dazu gibt es hier eine Story.

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Heartbeat Of Freedom

kaiman & cairo von Tirsa Perl

Kai & Kai plaudern über alte Zeiten. Heute:
Ein Song ist ein Song ist ein Song …

Mandela, Micky Maus & die Stasi: Gerade ist ein neuer (alter) Track von The Real Deal – dem Leipziger-Bandprojekt zwischen 1987 und 1989 – auf YouTube zu hören: Heartbeat Of Freedom. 1988 erschien der gleich auf zwei Tapes. Wie es dazu kam, erzählen Kai und Kai von Tirsa Perl hier.

cairo: Wir haben „Real Deal“ ja eigentlich schon Ende 1987 ins Leben gerufen. Aber eher so’n bißchen heimlich …

kaiman: Ja, denn es gab ja noch unsere Hauptband „Reininghaus“ . Wir wussten auch gar nicht, wohin das geht und so weiter. Außerdem standen ja mit „Reininghaus“ auch noch Konzerte an.  Also, ich glaube, zu dem Zeitpunkt war von Trennung noch gar nicht die Rede …

cairo: Nee, bestimmt nicht. Wir hatten einfach mal Lust auf etwas anderes, also das typische Zweitprojekt. Ich hatte ein paar Songs geschrieben, bei denen mir schnell klar wurde, dass sie nicht zu „Reininghaus“ passen … und „Heartbeat Of Freedom“ war einer davon.

kaiman: Wir haben erst ein bisschen zu zweit herumprobiert und dann kam der Dicke dazu (D.K., der war bei „Reininghaus“ Rowdy und für das Licht zuständig). Der hat sich den Bass geschnappt. Und das hat gleich hingehauen.

cairo: Ja, ganz erstaunlich. Mir hat vor allem der Sound gefallen. Das war wieder so, wie wir mit „Reininghaus“ einmal angefangen hatten. Also, in Richtung New Wave, Reggae & naja Punk … so’n bißchen noisy. Und sehr reduziert – eben Bass, Schlagzeug, Gitarre, Gesang …

kaiman: Naja, du hast ja auch wieder englische Texte geschrieben und auch wieder Gitarre gespielt.

The Real Deal Live 1988

Kayser, Reininghaus, Mueller – The Real Deal bei einem Konzert 1988

cairo: Stimmt. Bei „Reininghaus“ hatten wir zu der Zeit zwei Gitaristen, da war ich quasi nur Sänger.
Jedenfalls haben wir von Anfang an versucht, aufzunehmen. Die Dinge festzuhalten. Mich hat das schon immer interessiert. Also dieses ganze Studioding. Natürlich hatten wir kein richtiges Studio …

kaiman: … und zu der Zeit nicht mal einen Proberaum. Den hatten sie nämlich abgerissen (in der Lindenthaler Straße, Leipzig-Gohlis). Das war zwar ’ne alte Bude, aber Strom und so alles da. Schade …

Wie das folgende Stück trotzdem aufgenommen werden konnte, erzählen die Jungs gleich. Hier also erst einmal eine frühe Version von „Heartbeat Of Freedom“ (Dezember 1987):

cairo: Wir hatten unsere ganzen Musiksachen in einem Klubhaus, in dem ich arbeitete, untergestellt (Klubhaus „Artur Hoffmann“ in der Steinstraße, Leipzig-Connewitz). Und dort haben wir uns einfach immer mal im kleinen Kreis getroffen. Eigentlich durften wir da nicht proben, es war halt eine Zwischenlösung. Aber so zu dritt … Jedenfalls haben wir dann da die ersten Real Deal-Songs aufgenommen. Im Veranstaltungssaal … Da war gerade eine Fotoausstellung, glaube ich. Können aber auch Gemälde gewesen sein. Die Chefin war über’s Wochenende weg und wir haben zick-zack das Nötigste aufgebaut und los gings. Der Hausmeister hat das natürlich mitbekommen, aber er hat es toleriert. Jedenfalls ’ne Weile. Irgendwann wollte er einfach seine Ruhe haben. Wir waren ja im ganzen Haus zu hören. Und das ist ein ganz schön großer Kasten.  Aber er hat nichts verraten, der Gute! Ein paar von den Tracks sind später auch auf dem ersten Tape gelandet.

kaiman: Der Hausmeister hätte eigentlich eine Erwähnung auf dem Cover verdient …

cairo: Jetzt, wo du’s sagst …

kaiman: Die Qualität war aber noch nicht so dolle. Wir hatten keine guten Kassetten, das Bandmaterial war mies.  Aber es war cool, die Sachen zu hören.  Im Januar hatten wir ja wieder einen richtigen Proberaum (in der Auenstrasse, heute Hinrichsenstrasse, Leipzig). Und dort haben wir dann unser erstes Tape gemacht.

cairo: Mmmm, vor allem hatten wir auch mehr Ruhe und Zeit. Und Chromdioxidtapes aus dem Westen 😉 Ich finde trotzdem, dass die frühe Aufnahme sehr frisch und knackig ist. Meiner Schwester hat die Stimme im letzten Teil gemocht – die „Micky-Maus-Stimme“ hat sie immer gesagt … (beide lachen).

Kai und Kai von Tirsa Perl haben Spaß

cairo: Inhaltlich geht es im Song ja um Südafrika und die ganze Apartheidkacke damals. Ich hatte da auch noch eine „Rechnung offen“. Während meiner Zeit bei der Armee gab es Probleme mit der Stasi. Die hatten bei einer Razzia Texte von mir gefunden. Da ging es kurz gefasst um den Freiheitsgedanken. Natürlich war der Hintergrund das Eingesperrtsein bei der NVA und die Situation der Unfreiheit in der DDR im Allgemeinen. Aber wenn ich das zugegeben hätte, wäre ich in den Knast gewandert. Das haben die mir unmissverständlich klargemacht. Da ging mir der Popo wirklich auf Grundeis! Ich war ja gerade mal 19 Jahre alt …

kaiman: Ich war zu der Zeit ja schon nicht mehr bei der Armee. Aber du hast es mir ja erzählt. Es ist so grusselig …

cairo: Jedenfalls habe ich bei den Verhören steif und fest behauptet, diese Texte handelten vom „Freiheitskampf der unterdrückten farbigen Bevölkerung in Südafrika“, vom ANC usw. usf. Die haben das gefressen. Zum Glück! Und jetzt wollte ich das ein wenig gut machen und schrieb „Heartbeat of freedom“ … Denn was in Südafrika in jenen Jahren los war, fand ich natürlich Schei…

kaiman: Naja, positiv muss man sagen: Ohne die Armee hätten wir uns wohl nicht kennengelernt.

cairo: Klar, das ist richtig. Es gibt (fast) immer zwei Seiten der Medaille … Und ohne die ganze Musikgeschichte dort hätte ich das glaube ich kaum überstanden.

cairo im Proberaum der sogenanten "Regimentscombo"

Cairo und Lui (ein Musikerkollege und Freund, der zu selben Zeit bei der Armee war) im Proberaum der „Regimentscombo“. Inoffiziel nannten sich die Jungs „Unknown Soldiers“. Dort haben sich auch cairo & kaiman kennengelernt.

Das erste Tape (oder Kassette wie man damals sagte) von The Real Deal erschien dann im März 1988 und die frühe Version von „Heartbaet Of Freedom“ war einer der 12 Songs. Die Band gab es nun offiziell und man spielte manchmal gemeinsam mit „Reininghaus“ (bis zum Splitt) Konzerte. Warum nahm die Band den Song später trotzdem noch einmal auf und veröffentlichte ihn ein halbes Jahr später erneut? Das war genau die Aufnahme, die nun auf YouTube zu hören ist:

cairo: Im Sommer 1988 fand das Solidaritätskonzert für Nelson Mandela im Wembley Stadion statt. Und das wurde weltweit übetragen. Natürlich nicht in Südafrika (und im DDR Rundfunk auch nicht …  aber es gab  ja Westradio & Westfernsehen) …

kaiman: Ja, das war ein schönes Hapening, so partymäßig haben wir das geschaut. Wie Live-Aid oder die Rockpalast-Konzerte.

cairo: Das Thema lag also wieder in der Luft. Und da wir „Heartbeat Of Freedom“ sowieso live gerne spielten & der Song gut ankam, haben wir uns überlegt: Den müssen wir nochmal besser aufnehmen. Ich weiß nicht, ob er jetzt wirklich besser ist … anders ja …

kaiman: Auf jeden Fall von der Aufnahmequalität. Ich glaube, jede der beiden Versionen hat was … Mir gefällt er gut! Fast noch besser aber finde ich die Liveaufnahme vom Berlinkonzert …

Aller guten Dinge sind drei: Zum Abschluss dieser kleinen Geschichte hier eine wirklich mitreissende Live-Aufnahme von „Hearbeat Of Freedom“. Mitgeschnitten wurde sie beim „X-mal-Musik zur Zeit“ Konzert in (Ost-) Berlin am 4.Januar 1989 und veröffentlicht auf dem Live-Tape „By The Wall“ (Februar 1989).

Von diesem Konzert gibt es nur ein paar Backstage-Bilder und diese verschwommenen Fotos von der Bühne …

Real Deal live in Berlin Januar 1989Real Deal live in Berlin Januar 1989 Bild 2

Tschüß und bis zum nächsten Mal!
Kai & Kai!

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Die Liveversion von HEARTBEAT OF FREEDOM (Berlin, Januar 1989) ist Teil der Tripple-Vinyl-Edition „Heldenstadt.anders – der Leipziger Underground 1982 – 1989“ (Release: 12.09.2019) Infos: Truemmer Pogo

leipzig_LP-box "Heldenstadt.anders" 3-fach-Vinylheldenstadt.anders - 3-fach-Vinyl Real Deal