REININGHAUS, REAL DEAL, Tirsa Perl … seit Mitte der 80iger Jahre machen Kai Müller und Kai „Cairo“ Reininghaus (mit einigen Pausen) gemeinsam Musik. Nun hat Cairo eine alte Aufnahme gefunden, die zurück zu den Anfängen führt und gleichzeitig auch eine Verbindung in die heutige Zeit darstellt. Warum das so ist und was es sonst noch mit „Beauty Face“ – so der Name des verschollenen Songs – auf sich hat, erzählt Reininghaus hier. Und klar: Den Song gibt’s auch zu hören. Aber erst einmal, die Frage, wie alles begann …
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So richtig los ging es, als ich im Herbst 1986 nach Leipzig zog. Da saßen wir also in unserer frisch eröffneten WG und waren wild entschlossen, eine Band(!) zu gründen. Wir hatten auch schon einen Namen – REININGHAUS. Das war damals in der DDR ein recht seltener Name. Ich kannte niemanden sonst, der so hieß. Gut, es gab auch noch kein Internet, wo man mal schnell gucken konnte. Ich weiß nicht mehr, wer den Vorschlag machte, glaube aber, dass es Herr Müller war.
Müller und Reininghaus Ende 1986 in Leipzig – die Gründungsphase von „Reininghaus“
Kai und Kai machen Hausmusik …
Zu zweit also machten wir eine Art elektronisch verstärkte Hausmusik. Schlagzeug, E-Gitarre, Stimmen. Sehr zum Verdruss der Hausmitbewohner. Vor allem eine ältere Nachbarin klingelte immer wieder und riss uns aus dem schöpferischen Prozess. Die gute Frau. Zumindest trieb sie damit unseren Entschluss, einen Proberaum zu finden, in ungeahnte Höhen. Wir waren gnadenlos aktiv. Und hatten Erfolg. Es gab ja jede Menge Abrisshäuser, damals in L.E. Kurz darauf kamen (zuerst) Robert Gläser und anschließend Franky Heyner dazu, später noch Hannes Ackner. Die Band REININGHAUS war damit komplett.
Müller und Reininghaus in ihrer WG in Leipzig, Anfang 1987.
Ein Karton mit alten Tapes …
Die Aufnahme im YouTube Link unten stammt allerdings noch aus dieser ganz frühen Hausmusik-Phase vom November 1986. Ich glaube, es ist das früheste erhaltene Tondokument von Kai & Kai überhaupt. Wir wussten auch gar nicht mehr, dass es sie gab. Im Dezember letzten Jahres fand ich einen Karton mit alten Kassetten, und da, zwischen irgendwelchen zeitgenössischen Radio-Songs, eine fünfeinhalb Minuten lange Zeitkapsel. Ich war baff. Und auch gerührt.
Ich erinnerte mich, dass wir damals hin und wieder meinen alten Nordmende-Kassettenrekorder (Mono!) anschmissen und aufnahmen. Über das eingebaute Mini-Mikrofon. Ein Witz in Sachen Qualität, Rauschen etc., natürlich. Dafür klingt das Ergebnis aber erstaunlich und das Band hat sich gut gehalten.
Und hier endlich auch … der Song!
1986 | 2021: All die Jahre …
Im Original sind nur die Basic Tracks, also Schlagzeug und eine Gitarre zu hören. Bei dem Gitarrensound fällt mir auch gleich ein, dass ich da einen frisch erworbenen Vermona-Gitarrenverstärker hatte. Mit eingebauten Tremolo-Effekt. Das hört man recht deutlich. Alles andere habe ich einfach so um Weihnachten rum dazu gespielt. So ist eine alter/neuer Song entstanden. Eine Klammer, quasi, zwischen damals und heute.
Kai Reininghaus und Kai Müller 2017 im Proberaum Leipzig. Aktuell heisst ihr gemeinsames Projekt TIRSA PERL. Foto: Felicitas Reininghaus
Hier die Aufnahme „Beauty Face“ (1986/2021) als mp3
Kai & Kai plaudern über alte Zeiten. Heute: Ein Song ist ein Song ist ein Song …
Mandela, Micky Maus & die Stasi: Gerade ist ein neuer (alter) Track von The Real Deal – dem Leipziger-Bandprojekt zwischen 1987 und 1989 – auf YouTube zu hören: Heartbeat Of Freedom. 1988 erschien der gleich auf zwei Tapes. Wie es dazu kam, erzählen Kai und Kai von Tirsa Perl hier.
cairo: Wir haben „Real Deal“ ja eigentlich schon Ende 1987 ins Leben gerufen. Aber eher so’n bißchen heimlich …
kaiman: Ja, denn es gab ja noch unsere Hauptband „Reininghaus“ . Wir wussten auch gar nicht, wohin das geht und so weiter. Außerdem standen ja mit „Reininghaus“ auch noch Konzerte an. Also, ich glaube, zu dem Zeitpunkt war von Trennung noch gar nicht die Rede …
cairo: Nee, bestimmt nicht. Wir hatten einfach mal Lust auf etwas anderes, also das typische Zweitprojekt. Ich hatte ein paar Songs geschrieben, bei denen mir schnell klar wurde, dass sie nicht zu „Reininghaus“ passen … und „Heartbeat Of Freedom“ war einer davon.
kaiman: Wir haben erst ein bisschen zu zweit herumprobiert und dann kam der Dicke dazu (D.K., der war bei „Reininghaus“ Rowdy und für das Licht zuständig). Der hat sich den Bass geschnappt. Und das hat gleich hingehauen.
cairo: Ja, ganz erstaunlich. Mir hat vor allem der Sound gefallen. Das war wieder so, wie wir mit „Reininghaus“ einmal angefangen hatten. Also, in Richtung New Wave, Reggae & naja Punk … so’n bißchen noisy. Und sehr reduziert – eben Bass, Schlagzeug, Gitarre, Gesang …
kaiman: Naja, du hast ja auch wieder englische Texte geschrieben und auch wieder Gitarre gespielt.
Kayser, Reininghaus, Mueller – The Real Deal bei einem Konzert 1988
cairo: Stimmt. Bei „Reininghaus“ hatten wir zu der Zeit zwei Gitaristen, da war ich quasi nur Sänger.
Jedenfalls haben wir von Anfang an versucht, aufzunehmen. Die Dinge festzuhalten. Mich hat das schon immer interessiert. Also dieses ganze Studioding. Natürlich hatten wir kein richtiges Studio …
kaiman: … und zu der Zeit nicht mal einen Proberaum. Den hatten sie nämlich abgerissen (in der Lindenthaler Straße, Leipzig-Gohlis). Das war zwar ’ne alte Bude, aber Strom und so alles da. Schade …
Wie das folgende Stück trotzdem aufgenommen werden konnte, erzählen die Jungs gleich. Hier also erst einmal eine frühe Version von „Heartbeat Of Freedom“ (Dezember 1987):
cairo: Wir hatten unsere ganzen Musiksachen in einem Klubhaus, in dem ich arbeitete, untergestellt (Klubhaus „Artur Hoffmann“ in der Steinstraße, Leipzig-Connewitz). Und dort haben wir uns einfach immer mal im kleinen Kreis getroffen. Eigentlich durften wir da nicht proben, es war halt eine Zwischenlösung. Aber so zu dritt … Jedenfalls haben wir dann da die ersten Real Deal-Songs aufgenommen. Im Veranstaltungssaal … Da war gerade eine Fotoausstellung, glaube ich. Können aber auch Gemälde gewesen sein. Die Chefin war über’s Wochenende weg und wir haben zick-zack das Nötigste aufgebaut und los gings. Der Hausmeister hat das natürlich mitbekommen, aber er hat es toleriert. Jedenfalls ’ne Weile. Irgendwann wollte er einfach seine Ruhe haben. Wir waren ja im ganzen Haus zu hören. Und das ist ein ganz schön großer Kasten. Aber er hat nichts verraten, der Gute! Ein paar von den Tracks sind später auch auf dem ersten Tape gelandet.
kaiman: Der Hausmeister hätte eigentlich eine Erwähnung auf dem Cover verdient …
cairo: Jetzt, wo du’s sagst …
kaiman: Die Qualität war aber noch nicht so dolle. Wir hatten keine guten Kassetten, das Bandmaterial war mies. Aber es war cool, die Sachen zu hören. Im Januar hatten wir ja wieder einen richtigen Proberaum (in der Auenstrasse, heute Hinrichsenstrasse, Leipzig). Und dort haben wir dann unser erstes Tape gemacht.
cairo: Mmmm, vor allem hatten wir auch mehr Ruhe und Zeit. Und Chromdioxidtapes aus dem Westen 😉 Ich finde trotzdem, dass die frühe Aufnahme sehr frisch und knackig ist. Meiner Schwester hat die Stimme im letzten Teil gemocht – die „Micky-Maus-Stimme“ hat sie immer gesagt … (beide lachen).
cairo: Inhaltlich geht es im Song ja um Südafrika und die ganze Apartheidkacke damals. Ich hatte da auch noch eine „Rechnung offen“. Während meiner Zeit bei der Armee gab es Probleme mit der Stasi. Die hatten bei einer Razzia Texte von mir gefunden. Da ging es kurz gefasst um den Freiheitsgedanken. Natürlich war der Hintergrund das Eingesperrtsein bei der NVA und die Situation der Unfreiheit in der DDR im Allgemeinen. Aber wenn ich das zugegeben hätte, wäre ich in den Knast gewandert. Das haben die mir unmissverständlich klargemacht. Da ging mir der Popo wirklich auf Grundeis! Ich war ja gerade mal 19 Jahre alt …
kaiman: Ich war zu der Zeit ja schon nicht mehr bei der Armee. Aber du hast es mir ja erzählt. Es ist so grusselig …
cairo: Jedenfalls habe ich bei den Verhören steif und fest behauptet, diese Texte handelten vom „Freiheitskampf der unterdrückten farbigen Bevölkerung in Südafrika“, vom ANC usw. usf. Die haben das gefressen. Zum Glück! Und jetzt wollte ich das ein wenig gut machen und schrieb „Heartbeat of freedom“ … Denn was in Südafrika in jenen Jahren los war, fand ich natürlich Schei…
kaiman: Naja, positiv muss man sagen: Ohne die Armee hätten wir uns wohl nicht kennengelernt.
cairo: Klar, das ist richtig. Es gibt (fast) immer zwei Seiten der Medaille … Und ohne die ganze Musikgeschichte dort hätte ich das glaube ich kaum überstanden.
Cairo und Lui (ein Musikerkollege und Freund, der zu selben Zeit bei der Armee war) im Proberaum der „Regimentscombo“. Inoffiziel nannten sich die Jungs „Unknown Soldiers“. Dort haben sich auch cairo & kaiman kennengelernt.
Das erste Tape (oder Kassette wie man damals sagte) von The Real Deal erschien dann im März 1988 und die frühe Version von „Heartbaet Of Freedom“ war einer der 12 Songs. Die Band gab es nun offiziell und man spielte manchmal gemeinsam mit „Reininghaus“ (bis zum Splitt) Konzerte. Warum nahm die Band den Song später trotzdem noch einmal auf und veröffentlichte ihn ein halbes Jahr später erneut? Das war genau die Aufnahme, die nun auf YouTube zu hören ist:
cairo: Im Sommer 1988 fand das Solidaritätskonzert für Nelson Mandela im Wembley Stadion statt. Und das wurde weltweit übetragen. Natürlich nicht in Südafrika (und im DDR Rundfunk auch nicht … aber es gab ja Westradio & Westfernsehen) …
kaiman: Ja, das war ein schönes Hapening, so partymäßig haben wir das geschaut. Wie Live-Aid oder die Rockpalast-Konzerte.
cairo: Das Thema lag also wieder in der Luft. Und da wir „Heartbeat Of Freedom“ sowieso live gerne spielten & der Song gut ankam, haben wir uns überlegt: Den müssen wir nochmal besser aufnehmen. Ich weiß nicht, ob er jetzt wirklich besser ist … anders ja …
kaiman: Auf jeden Fall von der Aufnahmequalität. Ich glaube, jede der beiden Versionen hat was … Mir gefällt er gut! Fast noch besser aber finde ich die Liveaufnahme vom Berlinkonzert …
Aller guten Dinge sind drei: Zum Abschluss dieser kleinen Geschichte hier eine wirklich mitreissende Live-Aufnahme von „Hearbeat Of Freedom“. Mitgeschnitten wurde sie beim „X-mal-Musik zur Zeit“ Konzert in (Ost-) Berlin am 4.Januar 1989 und veröffentlicht auf dem Live-Tape „By The Wall“ (Februar 1989).
Von diesem Konzert gibt es nur ein paar Backstage-Bilder und diese verschwommenen Fotos von der Bühne …
Tschüß und bis zum nächsten Mal!
Kai & Kai!
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Die Liveversion von HEARTBEAT OF FREEDOM (Berlin, Januar 1989) ist Teil der Tripple-Vinyl-Edition „Heldenstadt.anders – der Leipziger Underground 1982 – 1989“ (Release: 12.09.2019) Infos: Truemmer Pogo
Heute vor 30 Jahren waren Robert, Frank, Johannes, Kai & Kai wahrscheinlich ganz schön aufgeregt. Unsere Band „Reininghaus“ hatten wir erst vor ein paar Monaten (so im Januar 1987) gegründet und nun ging’s schon um’s Ganze – die leidige aber doch irgendwie notwendige Einstufung. Ohne die war’s einfach auf Dauer mit den Auftritten sehr beschränkt, denn nur mit ihr konnte man in den Klubs & Kulturhäusern der kleinen Republik (the GDR!) spielen. Weiterlesen →