REININGHAUS, REAL DEAL, Tirsa Perl … seit Mitte der 80iger Jahre machen Kai Müller und Kai „Cairo“ Reininghaus (mit einigen Pausen) gemeinsam Musik. Nun hat Cairo eine alte Aufnahme gefunden, die zurück zu den Anfängen führt und gleichzeitig auch eine Verbindung in die heutige Zeit darstellt. Warum das so ist und was es sonst noch mit „Beauty Face“ – so der Name des verschollenen Songs – auf sich hat, erzählt Reininghaus hier. Und klar: Den Song gibt’s auch zu hören. Aber erst einmal, die Frage, wie alles begann …
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So richtig los ging es, als ich im Herbst 1986 nach Leipzig zog. Da saßen wir also in unserer frisch eröffneten WG und waren wild entschlossen, eine Band(!) zu gründen. Wir hatten auch schon einen Namen – REININGHAUS. Das war damals in der DDR ein recht seltener Name. Ich kannte niemanden sonst, der so hieß. Gut, es gab auch noch kein Internet, wo man mal schnell gucken konnte. Ich weiß nicht mehr, wer den Vorschlag machte, glaube aber, dass es Herr Müller war.
Müller und Reininghaus Ende 1986 in Leipzig – die Gründungsphase von „Reininghaus“
Kai und Kai machen Hausmusik …
Zu zweit also machten wir eine Art elektronisch verstärkte Hausmusik. Schlagzeug, E-Gitarre, Stimmen. Sehr zum Verdruss der Hausmitbewohner. Vor allem eine ältere Nachbarin klingelte immer wieder und riss uns aus dem schöpferischen Prozess. Die gute Frau. Zumindest trieb sie damit unseren Entschluss, einen Proberaum zu finden, in ungeahnte Höhen. Wir waren gnadenlos aktiv. Und hatten Erfolg. Es gab ja jede Menge Abrisshäuser, damals in L.E. Kurz darauf kamen (zuerst) Robert Gläser und anschließend Franky Heyner dazu, später noch Hannes Ackner. Die Band REININGHAUS war damit komplett.
Müller und Reininghaus in ihrer WG in Leipzig, Anfang 1987.
Ein Karton mit alten Tapes …
Die Aufnahme im YouTube Link unten stammt allerdings noch aus dieser ganz frühen Hausmusik-Phase vom November 1986. Ich glaube, es ist das früheste erhaltene Tondokument von Kai & Kai überhaupt. Wir wussten auch gar nicht mehr, dass es sie gab. Im Dezember letzten Jahres fand ich einen Karton mit alten Kassetten, und da, zwischen irgendwelchen zeitgenössischen Radio-Songs, eine fünfeinhalb Minuten lange Zeitkapsel. Ich war baff. Und auch gerührt.
Ich erinnerte mich, dass wir damals hin und wieder meinen alten Nordmende-Kassettenrekorder (Mono!) anschmissen und aufnahmen. Über das eingebaute Mini-Mikrofon. Ein Witz in Sachen Qualität, Rauschen etc., natürlich. Dafür klingt das Ergebnis aber erstaunlich und das Band hat sich gut gehalten.
Und hier endlich auch … der Song!
1986 | 2021: All die Jahre …
Im Original sind nur die Basic Tracks, also Schlagzeug und eine Gitarre zu hören. Bei dem Gitarrensound fällt mir auch gleich ein, dass ich da einen frisch erworbenen Vermona-Gitarrenverstärker hatte. Mit eingebauten Tremolo-Effekt. Das hört man recht deutlich. Alles andere habe ich einfach so um Weihnachten rum dazu gespielt. So ist eine alter/neuer Song entstanden. Eine Klammer, quasi, zwischen damals und heute.
Kai Reininghaus und Kai Müller 2017 im Proberaum Leipzig. Aktuell heisst ihr gemeinsames Projekt TIRSA PERL. Foto: Felicitas Reininghaus
Hier die Aufnahme „Beauty Face“ (1986/2021) als mp3
Im Oktober 1988 veröffentlichte die damalige Leipziger Indieband The Real Deal ihr zweites Tape. NOBODY IS PERFECT erschien so nur sechs Monate nach dem Release des Debuts. Ein irres Tempo, wenn man sich die Anzahl der Songs anschaut. Und dazu kamen ja noch das Cover, Fotosessions und natürlich Auftritte. Wie das alles möglich war, erzählen Cairo und Kaiman hier. Und Songs von damals gibt es natürlich auch …
Wie kommt es, dass Ihr so schnell genügend Songs für ein neues Tape zusammen hattet?
Kaiman Müller: Stimmt, wenn man das aus heutiger Sicht betrachtet, ist das krass. Aber damals verbrachten wir viel Zeit mit der Band, vor allem im Proberaum und Cairo kam ständig mit neuen Ideen an.
Cairo Reininghaus: Wir hatten einen Lauf. Ich schrieb immer an neuen Sachen, es war wie ein Ventil, was auf einmal geöffnet war. Wir waren ja nur drei Leute, mussten uns nicht ewig mit unterschiedlichen Meinungen aufhalten. Bass, Schlagzeug, Gitarre und Gesang. Das wars. Beim ersten Tape hatten wir noch Saxofon und Klarinette. Bei den neuen Songs ließen wir das weg. Wir waren aufeinander eingespielt, waren insgesamt sicherer geworden.
Hören wir zunächst mal einen Song vom Tape: Nobody’s Perfect ist der Titelsong des tapes und war live ein „echter kracher“, wie die beiden sich gern erinnern. das ist einer der songs, den cairo und kaiman auch noch heute mit ihrem tirsa perl-projekt spielen. hier aber das original:
Gab es Vorbilder in Sachen Sound?
C.R.: Klar, ich fand den Sound der späten 70iger gut. „Going Underground“ von The Jam zum Beispiel und „London Calling“ (The Clash). Die sind so kraftvoll, warm und knackig abgemischt. Das gefiel mir. Aber auch Joy Division, was ja eher eine kühlere und sterile Atmosphäre ausstrahlt. Mir war schon bewusst, dass diese Songs in High-End-Studios über Wochen hinweg aufgenommen worden waren. Das ganze Equipment und so weiter. Das war ja bei uns rudimentär, mit dem 6-Kanal-Vermona-Mono-Mixer. Bestenfalls konnte man sich da annähern. Aber das war die Inspiration und die Richtung. Und so sind wir es angegangen …
Das bedeutet, grundsätzlich hatte sich an den Aufnahmebedingungen im Vergleich zum ersten Tape nicht viel geändert?
K.M.: Nicht wirklich. Für’s Schlagzeug hatte ich zumindest zwei spezielle Mikrofone irgendwo aufgetrieben. Für die Bassdrum und die Snare. Die waren uralt und es stellte sich heraus, dass ihre Leistung nicht ganz so war, wie wir uns das vorgestellt hatten. Vielleicht lag’s auch an unserem Mixer, dass der nicht wirklich kompatibel war. Cairo wollte nämlich einen fetteren Snaresound. Da habe ich mir mal eben die Snare von einem anderen Schlagzeug ausgeliehen, die hatte ein größeres Volumen. Das Schlagzeug stand da nämlich seit einiger Zeit – also in einem anderen Zimmer des Abrisshauses und irgendein Typ übte da hin und wieder.
C.R.: Und der Unterschied war wirklich zu hören. Jedenfalls hatten wir aufnahmetechnisch so ungefähr die gleichen Sachen wie beim ersten Tape. Also ein 6-Kanal-Mono-Mischpult (Vermona Regent 1060) mit eingebauten 100-Watt-Verstärker und einem Halleffekt. Als Aufnahmegerät diente ein JVC-Kassettendeck …
K.M.: Ja, und Cairo hatte eine Zeichnung, wo wir stehen sollten und wie viele Mikrofone jeder bekam. War ja alles limitiert. Klar war, dass wir jeden Song immer komplett aufnehmen mussten. Mehrspurrecording war nicht (also erst die Instrumente und dann den Gesang und so weiter nacheinander aufnehmen) und wir hatten sechsEingänge am Mischpult. Sechs! Dass bedeutete zwei für Gesang (für Cairo und den Dicken), jeweils einen für Gitarre und Bass, macht vier. Die restlichen zwei für meine Drums waren zu wenig. Da hatten wir dann einen kleinen „Zwischenmixer“ eingeschleift (ein sogenannter Disco 2000), ganz einfaches Teil, vier Eingänge, vier Lautstärkeregler. Und die Mikrofone waren alles „Schwarzwurzeln“ – so DDR-Teile. Nicht überragend, aber okay. Nur Cairo hatte für seinen Gesang ein besseres Mikro … so ein Westteil …
K.R: Das war ein Teac – für 1000 DDR-Mark!
Recording Stuff: Der 6-Kanal-Monomixer von Vermona (Mono!) hatte einen integrierten Verstärker und kostete 2500 Mark der DDR! Daneben sieht man das Kassettendeck (JVC) auf dem aufgenommen wurde.
Gab es keine anderen Aufnahmemöglichkeiten, professionelle Studios etc.?
K.R.: Wahrscheinlich schon. Wir waren ja mit „Reininghaus“ auch in einem Studio. Aber das Arbeiten im Proberaum (ein Abrisshaus in der Auenstrasse, heute Hinrichsenstraße) war uns vertraut, also die Räumlichkeiten. Und wir konnten da ausprobieren, wie wir wollten. Das hatte ja beim ersten Tape gut geklappt und mir machte der Recordingprozess großen Spaß. Im Studio gibt es ja doch Abhängigkeiten und gewisse Vorgaben, das hat gute und weniger gute Auswirkungen. Hier waren wir total frei, hatten aber natürlich auch im Blick auf das Equipment Einschränkungen.
K.M.: Und das direkte Aufnehmen, also ohne Overdubs, ist natürlich auch was Besonderes. Man fängt den unmittelbaren Moment ein. Nichts kann mehr verändert werden …
C.R.: Hinzu kommt, dass wir auch nur eine Kassette hatten. Chromdioxid, 60 Minuten aus dem Westen. Musste sein, wegen der besseren Qualität. Die fielen ja auch nicht vom Himmel … Wir mussten also genau überlegen, welche Version eines Songs wir lassen. In der Regel hatten wir Platz für zwei Takes pro Song. Wir spielten also, hörten uns das Resultat an und überlegten ob wir es nochmal besser hinbekommen und so weiter. Klar, dass da der eine oder andere kleine Patzer sich nicht vermeiden ließ. Der blieb dann eben auf dem finalen Take. Was aber auch seinen Charme hat …
Das Original Aufnahmetape der Nobody Is Perfect – Session: Eine 60 Minuten-Chrom-Kassette aus dem Westen!
Und wie muss man sich dann das Aufnehmen vorstellen?
Berlin 2018: Kaiman und Cairo reden über alte Zeiten. Foto: Felicitas Reininghaus
K.M.: Reine Aufnahmezeit waren es vielleicht acht Stunden. Die Vorbereitungen haben ja schon eine Ewigkeit gedauert … also das Aufbauen der Mikros und dann das Einpegeln. Cool war, dass unser Proberaum noch eine Art extra Zimmer hatte, was hier ein großer Vorteil war.
C.R.: Das war so’n ganz schmaler Schlauch. Wichtig war ja, dass das Schlagzeug nicht auch noch über die Gesangs-Mikrofone mit aufgenommen wurde. Das hätte übel auf der Aufnahme geklungen. So saß also Kaiman mit seinen Drums im normalen Proberaum und der Dicke [Spitzname des damaligen Bassisten] und ich standen mit unseren Instrumenten im anderen „Zimmer“. Das war verdammt eng. Dort hatten wir ja auch den Mixer, das Kassettendeck und die Gesangsmikrofone aufgebaut. Unsere Verstärker (Gitarre und Bass) waren mit im großen Raum. Kaiman konnte uns durch so’ne kleine Plexiglasscheibe sehen. Die war aus irgendwelchen Gründen von den Leuten, die früher hier mal gewohnt hatten, eingebaut worden. Und überall die Kabel um uns herum. Sehr abenteuerlich.
K.M.: Jedenfalls musste alles in einem Ritt laufen, wir hatten nämlich Angst, dass man uns die Sachen klauen könnte, wenn wir über Nacht gegangen wären. Das war ja so’n abgefucktes Abrisshaus. Dann haben wir’s also durchgezogen. Bis tief in die Nacht … oder den frühen Morgen … Song für Song. Krass …
Hier ein weiterer Song vom tape: WHY I’M NOT! klar, kämpferisch & ohne kompromisse
Wie entstand das Cover?
K.M.: Thomas Fischer, ein Arbeitskollege von mir damals bei der Werbeabteilung des Konsums, hatte uns gerade einen Stapel Aufkleber vorbeigebracht – die hatte er im Siebdruckverfahren hergestellt und wir fanden sie klasse. Cairo nahm sich gleich einen und meinte, dass würde auch gut für’s Cover passen …
C.R.: Das erste Cover war weiß gewesen, dieses Mal wollte ich es schwarz haben. Dafür hatte ich Fotokarton besorgt. Aber so ganz schwarz war dann doch langweilig. Also habe ich den Aufkleber mit dazugebracht und es war perfekt. Für den Innenteil wollten wir ein aktuelles Foto von uns nehmen. Allerdings zog sich das noch ein wenig hin … so dass die ersten Tapes, die rausgingen, innen nur einen „Beipackzettel“ hatten, also mit den Angaben zu den Songs. Ganz schmucklos, so mit Schreibmaschine getippt, ausgeschnitten und aufgeklebt. Eine Notlösung … aber wir wollten unbedingt bei den laufenden Auftritten das neue Tape schon dabeihaben.
K.M.: Stimmt … wir hatten ja auch immer wieder Konzerte. Damals gab es ja nicht so ein richtiges Touren. Man hatte einzelne Auftritte. Manchmal noch einen „Anschluss“, also an zwei Tagen hintereinander … ein irrer logistischer Aufwand.
Wodurch kam die Verzögerung?
K.M.: Die Fotosession war erst Anfang November. Wir hatten bei einem Konzert einen Fotografen kennengelernt (Michel Du Chesne), der gerne mit uns arbeiten wollte. Der hatte auch gleich eine Location im Visier, das Uniklinikgelände am Bayerischen Bahnhof. Damals schön verfallen und sehr morbide.
C.R.: … und ein bisschen gruselig. Da sind einige Bilder entstanden. Eines haben wir dann für das Innencover ausgesucht, ich habe mit Rubbelbuchstaben den Text auf eine durchsichtige Folie geschrieben (eine Hundearbeit) … und so war’s dann endlich komplett.
Bilder der Fotosession vom November 1988 in Leipzig (fotos: michel du chesne). Neben Müller und reininghaus war damals noch „DER DICKE“ (D.K.) am bass dabei.
Wie kamen denn die Tapes dann an die Leute?
K.M.: Wie gesagt, das lief bei den Konzerten. Wir hatten einen kleinen „Merchandising“ Koffer dabei – so’n handliches Teil, mit Fotos, Postern und eben den Tapes. Das waren keine Massen, denn man musste das ja alles selbst kopieren …
C.R.: Genau. Und Leer-Kassetten waren in der DDR enorm teuer. Ein normales 60-Minuten Tape kostete 20 Mark! Das war richtig viel Geld, wenn man sich überlegt, das wir für unsere WG in Gohlis (2,5 Zimmer + Küche und WC auf halber Treppe) zum Beispiel 35 Mark Miete gezahlt haben. Ich habe dann in einem Laden für Bastelbedarf entdeckt, dass man das Material auch einzeln kaufen konnte. Also Kassettengehäuse, das Band, die Rollen etc. Das gab es in einer Packung für jeweils 3 Kassetten. War eine fisselige Angelegenheit, alles zusammenzusetzen. Aber natürlich viel günstiger. Dazu dann immer die Cover gebastelt, gefaltet und eingelegt – jedes einzelne Tape war absolute Handarbeit! Directly from the artist – wie man das später so schön umschrieb … direkter ging es ja gar nicht mehr.
Nun haben wir soviel geredet! Und dabei das Wichtigste, die Musik, fast aus den Augen verloren. Deshalb jetzt gleich mal vier Songs am Stück … viel Spaß!
Island In The Sun ist der traum von einem fernen land ohne grenzen, ohne polizei …
The Loose kommt bis auf den Schluss ohne Worte aus und spielt inhaltlich mit dem Begriff des „Freiseins“
see you – eine schicksalhafte Begegnung in einer nicht endenden nacht
My Opinion hat sich zum Klassiker entwickelt. Inhaltlich dreht sich alles um alles und nichts um nichts – grundsätzlich aber um den Verlust der Seele und der eigenen Meinung. Die Version hier ist neu: Cairo und Kaiman haben sie mit ihrem aktuellen gemeinsamen Projekt TIRSA PERL 2016 aufgenommen (veröffentlicht auf „in the not too distant future“ – cd & download)
Weil’s so schön war, gibt’s hier die Songs noch einmal komplett als eine Musikdatei (!) … und sogar noch einem Bonustitel mehr am Schluss … insgesamt 20 Minuten DDR – IndiePop am Stück! Voila! Viel Spaß beim Hören!
Kai & Kai plaudern über alte Zeiten. Heute: Ein Song ist ein Song ist ein Song …
Mandela, Micky Maus & die Stasi: Gerade ist ein neuer (alter) Track von The Real Deal – dem Leipziger-Bandprojekt zwischen 1987 und 1989 – auf YouTube zu hören: Heartbeat Of Freedom. 1988 erschien der gleich auf zwei Tapes. Wie es dazu kam, erzählen Kai und Kai von Tirsa Perl hier.
cairo: Wir haben „Real Deal“ ja eigentlich schon Ende 1987 ins Leben gerufen. Aber eher so’n bißchen heimlich …
kaiman: Ja, denn es gab ja noch unsere Hauptband „Reininghaus“ . Wir wussten auch gar nicht, wohin das geht und so weiter. Außerdem standen ja mit „Reininghaus“ auch noch Konzerte an. Also, ich glaube, zu dem Zeitpunkt war von Trennung noch gar nicht die Rede …
cairo: Nee, bestimmt nicht. Wir hatten einfach mal Lust auf etwas anderes, also das typische Zweitprojekt. Ich hatte ein paar Songs geschrieben, bei denen mir schnell klar wurde, dass sie nicht zu „Reininghaus“ passen … und „Heartbeat Of Freedom“ war einer davon.
kaiman: Wir haben erst ein bisschen zu zweit herumprobiert und dann kam der Dicke dazu (D.K., der war bei „Reininghaus“ Rowdy und für das Licht zuständig). Der hat sich den Bass geschnappt. Und das hat gleich hingehauen.
cairo: Ja, ganz erstaunlich. Mir hat vor allem der Sound gefallen. Das war wieder so, wie wir mit „Reininghaus“ einmal angefangen hatten. Also, in Richtung New Wave, Reggae & naja Punk … so’n bißchen noisy. Und sehr reduziert – eben Bass, Schlagzeug, Gitarre, Gesang …
kaiman: Naja, du hast ja auch wieder englische Texte geschrieben und auch wieder Gitarre gespielt.
Kayser, Reininghaus, Mueller – The Real Deal bei einem Konzert 1988
cairo: Stimmt. Bei „Reininghaus“ hatten wir zu der Zeit zwei Gitaristen, da war ich quasi nur Sänger.
Jedenfalls haben wir von Anfang an versucht, aufzunehmen. Die Dinge festzuhalten. Mich hat das schon immer interessiert. Also dieses ganze Studioding. Natürlich hatten wir kein richtiges Studio …
kaiman: … und zu der Zeit nicht mal einen Proberaum. Den hatten sie nämlich abgerissen (in der Lindenthaler Straße, Leipzig-Gohlis). Das war zwar ’ne alte Bude, aber Strom und so alles da. Schade …
Wie das folgende Stück trotzdem aufgenommen werden konnte, erzählen die Jungs gleich. Hier also erst einmal eine frühe Version von „Heartbeat Of Freedom“ (Dezember 1987):
cairo: Wir hatten unsere ganzen Musiksachen in einem Klubhaus, in dem ich arbeitete, untergestellt (Klubhaus „Artur Hoffmann“ in der Steinstraße, Leipzig-Connewitz). Und dort haben wir uns einfach immer mal im kleinen Kreis getroffen. Eigentlich durften wir da nicht proben, es war halt eine Zwischenlösung. Aber so zu dritt … Jedenfalls haben wir dann da die ersten Real Deal-Songs aufgenommen. Im Veranstaltungssaal … Da war gerade eine Fotoausstellung, glaube ich. Können aber auch Gemälde gewesen sein. Die Chefin war über’s Wochenende weg und wir haben zick-zack das Nötigste aufgebaut und los gings. Der Hausmeister hat das natürlich mitbekommen, aber er hat es toleriert. Jedenfalls ’ne Weile. Irgendwann wollte er einfach seine Ruhe haben. Wir waren ja im ganzen Haus zu hören. Und das ist ein ganz schön großer Kasten. Aber er hat nichts verraten, der Gute! Ein paar von den Tracks sind später auch auf dem ersten Tape gelandet.
kaiman: Der Hausmeister hätte eigentlich eine Erwähnung auf dem Cover verdient …
cairo: Jetzt, wo du’s sagst …
kaiman: Die Qualität war aber noch nicht so dolle. Wir hatten keine guten Kassetten, das Bandmaterial war mies. Aber es war cool, die Sachen zu hören. Im Januar hatten wir ja wieder einen richtigen Proberaum (in der Auenstrasse, heute Hinrichsenstrasse, Leipzig). Und dort haben wir dann unser erstes Tape gemacht.
cairo: Mmmm, vor allem hatten wir auch mehr Ruhe und Zeit. Und Chromdioxidtapes aus dem Westen 😉 Ich finde trotzdem, dass die frühe Aufnahme sehr frisch und knackig ist. Meiner Schwester hat die Stimme im letzten Teil gemocht – die „Micky-Maus-Stimme“ hat sie immer gesagt … (beide lachen).
cairo: Inhaltlich geht es im Song ja um Südafrika und die ganze Apartheidkacke damals. Ich hatte da auch noch eine „Rechnung offen“. Während meiner Zeit bei der Armee gab es Probleme mit der Stasi. Die hatten bei einer Razzia Texte von mir gefunden. Da ging es kurz gefasst um den Freiheitsgedanken. Natürlich war der Hintergrund das Eingesperrtsein bei der NVA und die Situation der Unfreiheit in der DDR im Allgemeinen. Aber wenn ich das zugegeben hätte, wäre ich in den Knast gewandert. Das haben die mir unmissverständlich klargemacht. Da ging mir der Popo wirklich auf Grundeis! Ich war ja gerade mal 19 Jahre alt …
kaiman: Ich war zu der Zeit ja schon nicht mehr bei der Armee. Aber du hast es mir ja erzählt. Es ist so grusselig …
cairo: Jedenfalls habe ich bei den Verhören steif und fest behauptet, diese Texte handelten vom „Freiheitskampf der unterdrückten farbigen Bevölkerung in Südafrika“, vom ANC usw. usf. Die haben das gefressen. Zum Glück! Und jetzt wollte ich das ein wenig gut machen und schrieb „Heartbeat of freedom“ … Denn was in Südafrika in jenen Jahren los war, fand ich natürlich Schei…
kaiman: Naja, positiv muss man sagen: Ohne die Armee hätten wir uns wohl nicht kennengelernt.
cairo: Klar, das ist richtig. Es gibt (fast) immer zwei Seiten der Medaille … Und ohne die ganze Musikgeschichte dort hätte ich das glaube ich kaum überstanden.
Cairo und Lui (ein Musikerkollege und Freund, der zu selben Zeit bei der Armee war) im Proberaum der „Regimentscombo“. Inoffiziel nannten sich die Jungs „Unknown Soldiers“. Dort haben sich auch cairo & kaiman kennengelernt.
Das erste Tape (oder Kassette wie man damals sagte) von The Real Deal erschien dann im März 1988 und die frühe Version von „Heartbaet Of Freedom“ war einer der 12 Songs. Die Band gab es nun offiziell und man spielte manchmal gemeinsam mit „Reininghaus“ (bis zum Splitt) Konzerte. Warum nahm die Band den Song später trotzdem noch einmal auf und veröffentlichte ihn ein halbes Jahr später erneut? Das war genau die Aufnahme, die nun auf YouTube zu hören ist:
cairo: Im Sommer 1988 fand das Solidaritätskonzert für Nelson Mandela im Wembley Stadion statt. Und das wurde weltweit übetragen. Natürlich nicht in Südafrika (und im DDR Rundfunk auch nicht … aber es gab ja Westradio & Westfernsehen) …
kaiman: Ja, das war ein schönes Hapening, so partymäßig haben wir das geschaut. Wie Live-Aid oder die Rockpalast-Konzerte.
cairo: Das Thema lag also wieder in der Luft. Und da wir „Heartbeat Of Freedom“ sowieso live gerne spielten & der Song gut ankam, haben wir uns überlegt: Den müssen wir nochmal besser aufnehmen. Ich weiß nicht, ob er jetzt wirklich besser ist … anders ja …
kaiman: Auf jeden Fall von der Aufnahmequalität. Ich glaube, jede der beiden Versionen hat was … Mir gefällt er gut! Fast noch besser aber finde ich die Liveaufnahme vom Berlinkonzert …
Aller guten Dinge sind drei: Zum Abschluss dieser kleinen Geschichte hier eine wirklich mitreissende Live-Aufnahme von „Hearbeat Of Freedom“. Mitgeschnitten wurde sie beim „X-mal-Musik zur Zeit“ Konzert in (Ost-) Berlin am 4.Januar 1989 und veröffentlicht auf dem Live-Tape „By The Wall“ (Februar 1989).
Von diesem Konzert gibt es nur ein paar Backstage-Bilder und diese verschwommenen Fotos von der Bühne …
Tschüß und bis zum nächsten Mal!
Kai & Kai!
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Die Liveversion von HEARTBEAT OF FREEDOM (Berlin, Januar 1989) ist Teil der Tripple-Vinyl-Edition „Heldenstadt.anders – der Leipziger Underground 1982 – 1989“ (Release: 12.09.2019) Infos: Truemmer Pogo