Die Proberaumsessions 2023

von Cairo Reininghaus

Dass Herr Müller und ich schon lange Zeit musikalisch immer wieder zusammenkommen (Reininghaus, Real Deal, Tirsa Perl), ist vielleicht bekannt. Im Orwell’schen Jahr 1984 ging das los. In Erfurt (aber das sind andere Geschichten). Auch 2023 gab es wieder einige gemeinsame Sessions in unserem Hauptquartier „Müller’s Boutique“, im Leipziger Stadtteil Schleußig.

Natürlich waren wir dabei nicht allein – Afi Fischer unterstützt uns seit 2018 am Bass. Spontan kamen im August und September Frieder und Frank dazu. Wir spielten mit unseren Songs, die grobe Richtung war vorgegeben, alles andere konnte sich entwickeln, aus dem Moment heraus entstehen. Manchmal funktionierte es besser, manchmal nicht so gut. Völlig normal. Aber manchmal passierte etwas, was sich schwer beschreiben lässt. Diese magischen Momente wollen wir mit euch teilen.
PS: Die Beiträge erschienen erstmals ursprünglich auf Facebook.

Track 1: Stealing Dreams

Diesen Song haben wir am 11. August 2023 aufgenommen. Ich war, wie immer, schon recht früh in Berlin gestartet und gegen 13.30 Uhr in Leipzig. Das mag ich, noch etwas Zeit so für mich zu verbringen. Da gibt es den Vietnamesen in der Nähe, wo ich gern etwas esse, und das kleine Café ein Stück weiter, von wo ich das Treiben beobachten kann. Wieder ein wenig eintauche in diese Stadt, die so wichtig in meinem Leben war. Hier begann (nach ersten zaghaften Versuchen und Anläufen in meiner alten Thüringer Heimat) mein Weg als Musiker, hier habe ich meine Frau kennengelernt, hier ist unser Sohn geboren. Das ist lange her und das Land, indem diese Stadt damals lag, gibt es gar nicht mehr. Und doch, ist das alles nicht vergessen, natürlich nicht. Leipzig wird immer ein Teil von mir sein. Zurück ins Jahr 2023.

Herr Müller und ich hatten die Technik vorbereitet (ich bringe immer eine ganze Wagenladung mit) und uns schon mal ein wenig eingespielt. Gegen 19.00 Uhr kam Frieder. Mit ihm hat Müller einige Zeit in einer anderen Band gespielt, ich habe ihn auch schon kennengelernt, als er uns einmal bei einem alten Real-Deal-Song an der Orgel begleitet hat. Aber das ist nur eine kurze Episode und zehn Jahre her.

Frieder also. Kommt herein mit seinem Geigenkasten auf dem Rücken und einem Keyboard unterm Arm. Wir verkabeln ihn und fangen dann an, uns musikalisch kennenzulernen. Spielen irgendetwas. Schließlich wird es konkreter. Müller schlägt vor, dass wir einen unserer neuen Songs versuchen sollten. Stealing Dreams. Den habe ich Ende 2020 geschrieben und es gibt eine Version davon digital (The Phonehead Music Club). Wir spielen Frieder den Song vor, was mir immer etwas schwerfällt, also anderen Musikern meine Songs darzubieten. Da bin ich – im Gegensatz zu Konzerten – eher schüchtern.

Frieder aber scheint „Stealing Dreams“ zu gefallen. Und er kennt einige meiner Songs. Aus dem Internet wohl und von Müller. Er meint, meiner Lieder wären perfekt als Abspannmusik von Filmen. Ich nehme das als Kompliment. Frieder muss es wissen, denn er arbeitet als Sounddesigner.

Frieder - einer unserer Sessiongäste - mit seiner Geige.Wir spielen den Song, einige Male durch. Nehmen eine Version mit Klavierbegleitung auf. Und die nächste ist die, die ihr hier hören könnt. Frieder spielt Violine und Klavier, wechselt also zwischendurch immer wieder das Instrument. Alles live und in einem Durchgang. Als der letzte Ton verklungen ist, ahnen wir, da ist etwas Besonderes entstanden. „Hast du das aufgenommen?“, fragt Müller bang. Ja, habe ich. Ich spule zurück und drücke „Play“. Wir schauen uns an. Wow. Wow! Aber alles, was wir sagen, ist: „Nicht schlecht!“. Und trinken erstmal ein Bier. Wissen, das lassen wir mal so stehen.

Wir nehmen den Song nicht noch einmal auf. Es gibt nur diese eine Version. Und sie ist magisch.

Track 2: Last Stand

Zweite Runde unserer kleinen Livemusikshow, in der wir einige Früchte unserer Proberaumsessions präsentieren. Die Aufnahmen waren ursprünglich nicht für eine Veröffentlichung vorgesehen, wir haben einfach mitgeschnitten, den Dingen ihren Lauf gelassen. Demos eben. Ideen, Skizzen, wie auch immer. Erinnerungen für die Beteiligten an schöne Stunden. Im Nachhinein aber, beim Hören dann mit etwas Abstand, merkten wir (und andere), dass die entstandenen Aufnahmen (wenn sie auch nicht perfekt sind) eigentlich zu schade wären, um in unseren persönlichen Archiven zu verschwinden. Warum ist schwer zu beschreiben. Möglicherweise empfindet ihr auch so. Musik ist etwas Wunderbares. In Sekundenschnelle löst sie in uns Empfindungen und Sehnsüchte aus, sie lässt uns nicht kalt. Uns würde es auf jeden Fall freuen, wenn ihr einen schönen Moment mit unseren Songs habt.

LAST STAND. Aufgenommen haben wir den Song am 29.09.2023. Geschrieben habe ich ihn schon Ende 2021. Um was es geht? Um das Leben in einer besonderen Zeit. Um die Dinge, die passieren. Über Ängste. Verzweiflung. Und Hoffnung. Leider zeigen die Ereignisse der zwei Jahre, die seitdem vergangen sind, dass der Song aktueller ist, denn je. Hier eine Übertragung des englischen Originaltextes ins Deutsche:

Letztes Gefecht

Ich schalte das Radio ein
aber nichts ist zu hören
nur diese schlechten Nachrichten
die die Angst nähren
Tränen fließen aus traurigen Gesichtern
Menschen bewegen sich nicht mehr
wie sollen wir atmen
in einer Welt ohne Hoffnung
wie überleben
Wir rennen an gegen
diese alten schwarzen Mauern
Wir rennen an gegen
alle Ungerechtigkeiten
Manchmal ist es schwieriger
manchmal verzweifeln wir
bei dem Gefühl, dass dies das Ende sei …
Und der große Meister ist verschwunden
hat sich aus dem Staub gemacht
seine Pläne sind vergessen
oh … was haben wir getan
Ich schalte das Radio ein
Musik ist überall
Mein Herz ist voll
meine Seele bricht aus
da ist so viel, was ich fühle
Wir laufen durch endlose Felder
wir rennen wieder, lassen uns nicht aufhalten
wir kennen all die Tränen
aber wir geben niemals auf
wir stehen niemals still
wir kämpfen gegen unsere Ängste

Kai Reininghaus (2021)

Track 3: Dying In Tears

Es gibt Songs, die man vor Jahren geschrieben und schon viele Male gespielt hat, die einen immer noch überraschen. Das ist einer der Aspekte, die unsere Sessions so spannend machen. In diesem Fall geht es um DYING IN TEARS. Den haben wir mit unserer damaligen DDR-Indieband THE REAL DEAL auf unseren ersten Tape Anfang 1988 veröffentlicht. So weit so gut.

Als wir den Song nun an einem Augustabend 2023 unserm Gastmusiker Frieder vorspielen, ist es draußen noch angenehm warm. Grillen zirpen, eine Straßenbahn rumpelt in nicht allzu weiter Entfernung vorbei. Es ist die gleiche Stadt in der DYING IN TEARS vor mehr als 35 Jahren entstanden ist, aber alles ist anders.

Die Luft, die Geräusche (ja, ja, die Straßenbahnen klingen mittlerweile anders), das Leben ringsherum, die Menschen? Auch die sind andere. Oder anders? Die Zeit bleibt nicht stehen, in Erinnerungen erstarrt. Das sind nur Bilder in unseren Köpfen. Der Proberaum war damals auch ein anderer, in einem verbotenerweise und illegal besetztem Abrisshaus. Das Haus gibt es nicht mehr, selbst die Straße hat einen neuen Namen bekommen.Zurück ins Hier und Jetzt. Frieder hört sich den Song an, setzt sich an die Orgel. Spielt ein wenig herum. Schlägt eine Richtung ein. Wir folgen ihm. Ja, denke ich. Das könnte funktionieren. Müller ist auch begeistert. Der ursprüngliche Post-Punk-New-Wave-Pop-Song verwandelt sich. Neues Etikett? Bar-Lounge-Atmosphäre mit Doors-Attitüde vielleicht. Wie auch immer. Ehe es zu perfekt wird, hören wir lieber auf. Wir wollen die spontane Unmittelbarkeit nicht zerstören. Eine Aufnahme muss genügen. Und es warten ja noch andere Songs …

Track 4: Es wird passieren

Es ist wieder soweit – ein neuer Song aus unseren Sessions wartet darauf, gehört zu werden. Aufgenommen haben wir ihn am 29. September 2023. Unser Gast an diesem Abend war Frank Heyner. Er war in der Stadt, hatte zwei Gitarren dabei und eine Mundharmonika. Ich glaube er ist nicht böse, wenn ich hier schreibe, dass er sehr aufgeregt war. Immerhin war es eine ganze lange Weile her, seitdem wir zuletzt zusammen musizierten.

So 2004 war das. Und zwei Jahre zuvor spielten wir ein gemeinsames Konzert im Tonelli´s – dafür ließen wir die alte REININGHAUS – Band in beinah Originalbesetzung (Johannes Ackner am Saxofon war dabei, einzig Robert Gläser hatte an diesem Abend andere Auftrittsverpflichtungen) noch einmal auferstehen. Ja, genau: Frank gehört mit zur Urformation von REININGHAUS. Er kam damals im Januar 1987 auf Empfehlung von Robert zu uns. Mit seiner roten Musima und einem ganz eigenen Gitarrenspiel.
Er und ich haben eine Reihe schöner Songs für die Band geschrieben. Schon im April 1988 gingen wir aber alle musikalisch andere Wege. Damals ging alles rasend schnell, das Jahr mit REININGHAUS hat uns ganz schön gefordert, mit Einstufungen, Studioaufenthalten, Konzerten, Radiomitschnitten usw. Vieles davon ist verschollen. Müller und ich haben mit REAL DEAL ein neues Kapitel aufgeschlagen, Frank und Hannes sind ebenfalls eigene Wege gegangen.
Reininghaus Fotosession in Leipzig 1987

Drei Fünftel der Band REININGHAUS: Cairo, Hannes und Frank 1987 im Hinterhof vor dem „Abrisshaus“ in dem sich der Proberaum der Band befand (damals Auenstrasse / Leipzig). Nicht im Bild sind Kai Müller (Schlagzeug) und Bassist Robert Gläser.

Nach all den Jahren sind wir also für einige Stunden wieder zusammen. Frank wird am Ende sagen, dass es war, als hätten wir erst gestern das letzte Mal geprobt. Das stimmt. Es ist ein bisschen wie Radfahren – man verlernt es nicht wirklich. Die Monate damals in den 80iger Jahren waren intensiv, wir haben viel Zeit gemeinsam verbracht, zusammen musiziert.

REININGHAUS 1987: Gläser / Reininghaus / Müller / Heyner / Ackner (v.l.n.r.)

ES WIRD PASSIEREN hat passenderweise einen deutschen Text (für REININGHAUS habe ich auch deutsche Texte geschrieben, das war so eine Phase), ist aber neu – im Original auf unserem letzten TIRSA PERL – Album (Strange Times) 2021 erschienen. Man kann ihn auf Streaming-Plattformen hören, auf Youtube gibt es auch ein Video.

Jetzt und hier aber unsere Session-Version. Wie immer stand nicht die Perfektion im Vordergrund, sondern Spontanität. Deshalb haben wir auch bewusst nicht länger als eine Stunde an einem Song gearbeitet. Wir haben gespielt. Eins, zwei, drei, vier …

Track 5: Black Is The Sea

Während ich das schreibe, hat es zum ersten Mal geschneit hier in Berlin. Kann mich nicht erinnern, dass das in den letzten Jahren um diese Zeit auch so war. Jetzt ist schon wieder alles weg. Grau in grau, nass und ungemütlich. November eben. Den Song, den wir heute vorstellen, haben wir während der Session im August aufgenommen. Warm war es nicht nur draußen, auch im Proberaum kamen wir ins Schwitzen. Kann man das hören? Ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt, ist das nur so dahingeschrieben, mit dem „ins Schwitzen kommen“. Könnte aber durchaus so gewesen sein.

Im Song selbst ist der Himmel blau. Also Sommer? Vielleicht. Allerdings ist die Szenerie trügerisch. Das Meer wird als „schwarz“ beschrieben. Und Boote mit Löchern drin waren mir schon immer nicht geheuer. Wie auch? Und es kommt, wie es kommen muss. Aber möglicherweise ist es ein fröhlicher Untergang. Delfine sind nämlich auch mit dabei. Die haben Spaß. Anders die Fische am Meeresgrund, die wittern Beute. Naja. Malt euch selbst ein Bild.

Unser Gast Frieder beginnt mit einem Klavierpart, im Unterschied zum Original (habe ich auf dem letzten Phonehead Music Club – Album „Another Chapter Of The Story“ veröffentlicht). Das ist anders und deshalb schön und besonders. Es zeigt (wieder einmal), dass ein Song in vielen Facetten erscheinen kann. Für die Perfektionisten: Was ihr hier hört, ist der Mitschnitt einer spontanen Session. Es ging um ein bestimmtes Gefühl, einen besonderen Moment. Den wollten wir festhalten. Also auch ein Abenteuer. Bevor wir zu sehr ins Detail gingen, nahmen wir uns den nächsten Song vor. Zwei, drei Durchläufe mussten genügen. Das konnte auch schiefgehen oder, besser gesagt, zu nichts führen. Wir hatten nur ein paar Stunden Zeit für fünf, sechs, sieben Songs an diesem Augustabend in Leipzig.
++++++++++++++++++++++++++

Februar 1987: REININGHAUS rocken einen Kirchenkeller

Im Februar 1987 gaben „Reininghaus“ ihr erstes Konzert. Zu dieser Zeit existierte die Band gerade einmal einige Wochen, hatte auch noch keine DDR-typische „Einstufung“ gemacht. Ohne diese sogenannte „Pappe“ war ein ein öffentlicher Auftritt nicht möglich – Ausnahmen bildeten Kirchen oder private Räume. Der Veranstaltungsort war dann auch ganz typisch der geräumige Untergrund der Michaeliskirche zu Leipzig. Von dieser Veranstaltung existieren keine Tonaufnahmen, aber: Fotos! Und Erinnerungen. Gründungsmitglieder Kai Müller (Schlagzeug) und Kai Reininghaus (Gesang, Gitarre) erzählen über dieses denkwürdige Ereignis.
Die Band Reininghaus Live im Kirchkeller Michaeliskirch Leipzig Februar 1987 (c) Reininghaus

REININGHAUS Live im Kirchenkeller der Michaeliskirche (Leipzig, Februar 1987)

Kai Reininghaus: In einer Kirche ein Rockkonzert zu geben, war für mich neu. Ich kam ja aus einer kleinen Stadt in Thüringen, Konzerte in Kinos oder Theatern hatte ich schon erlebt. Aber Verstärker, Schlagzeug, laute Gitarren u.s.w. in einer Kirche? Da gab es Weihnachten ein Krippenspiel, an das ich mich erinnern konnte. Jedenfalls war ich erstmal skeptisch … Ich war ja auch erst ein paar Monate in Leipzig.
Kai Müller: Der Kirchenkeller in der Michaeliskirche war etwas Besonderes. Da haben schon Ende der 70iger Jahre oppositionelle Gruppen einen Platz gefunden. Friedensgruppen, Umweltgruppen usw. Auch Lesungen fanden statt und später Konzerte. Ich war da in den 80iger Jahren immer mal dort und kannte den Pfarrer. Und so kamen wir auch zu dem Gig.
Robert Gläser (Bass) und Kai Reininghaus (Gesang, Gitarre) auf der kleinen Bühne der Michaeliskirche (Leipzig, Februar 1987)

Robert Gläser (Bass) und Kai Reininghaus (Gesang, Gitarre) auf der kleinen Bühne der Michaeliskirche (Leipzig, Februar 1987)

Kai Reininghaus: Als Band waren wir erst seit ein paar Wochen zusammen. Mit Robert Gläser am Bass hatten wir im Dezember 1986 angefangen und im Januar 1987 kam Frank Heyner dazu (Gitarre). Wir probten viel und irgendwie waren von Anfang an auch andere Leute mit im Proberaum. Freunde und Bekannte von Robert. Auch Johannes Ackner war darunter. Der stieg im April dann als Saxofonist ein. Also, wir haben quasi immer mit Publikum geprobt. Das ist ja gerade bei Bandproben eher ungewöhnlich, Songs entstehen meist im intimen Rahmen. Der Prozess von der Idee zum fertigen Song ist für Zuhörer (manchmal auch für Bandmitglieder) ein eher zäher, man wiederholt und verwirft etc. …
Kai Müller Kirchkeller Leipzig (Reininghaus, Februar 1987)

Kai Müller am Schlagzeug (die gestreifte Hose war in Wirklichkeit schwarz/gelb. Die automatische Nachcolorierung der ursprünglichen s/w Fotos kommt hin und wieder an ihre Grenzen 🙂

Kai Müller: Die Leute waren irgendwie froh, einfach dabei zu sein. Daraus wurde ein richtiger kleiner Fanclub. Ich glaube aber, wenn die Zuhörer sich in die Proben aktiv eingemischt hätten, wäre das nicht lange gut gegangen. In dieser Phase haben wir ja noch so in Richtung New Wave und – heute würde man sagen: Post Punk – gespielt. Also frisch und einfach. Kompliziert wurde es erst später … (lacht)

Kai Reininghaus: Ich glaube, Robert wollte so schnell wie möglich live spielen. Wir hatten uns in musikalischer Hinsicht zu dem Zeitpunkt noch nicht so richtig gefunden. Also, wo sollte es hingehen, sollen es deutsche Texte sein, oder englische … usw. Ein öffentlicher Auftritt war in dieser Phase eigentlich zu früh. Aber klar, irgendwie waren wir dann alle heiß …
Gläser, Reininghaus und Heyner: Reininghaus live im Kirchkeller Michaeliskirche (Leipzig, 1987)

„Reininghaus“ 1987 im Kirchkeller der Michaeliskirche (Leipzig): Gläser, Reininghaus und ganz rechts Frank Heyner (Gitarre).

Kai Müller: Ein Freund von mir hat unsere Sachen vom Proberaum zur Kirche gefahren, mein Schlagzeug und die Gitarrenverstärker. Zum Glück hatte die Kirche eine kleine PA mit Mixer usw. Wir hätten uns sonst was ausleihen müssen, was nicht einfach gewesen wäre und auch Geld gekostet hätte. Und Gage gab es keine. Wir hatten ja auch noch keine Einstufung …

Kai Reininghaus: Die hätten wir in der Kirche eh‘ nicht gebraucht (lacht). Aber zum Thema „Einstufung“ erzählen wir ein anderes Mal mehr. Ich war jedenfalls überrascht, wir geräumig der Ort war … es hieß ja „Keller“. Die Bühne allerdings war winzig. So’ne Nische. Das sieht man gut auf den Fotos.
Reininghaus 1987 live in Leipzig (Kirchenkeller Michaeliskirche)Kai Müller: Ja, und dicht über uns Rohre, an denen Eimer hingen, die eventuelles Tropfwasser auffangen sollten. Das war lustig … Ich war ganz hinten mit meinen Drums und hab eigentlich fast nichts vom Publikum mitbekommen.

Ein Blick ins Publikum beim Reininghaus-Konzert 1987 in der Michaeliskirche: Ganz rechts am Rand kann man u.a. drei Mitglieder einer anderen Leipziger Band erkennen – Neu Rot.

Kai Reininghaus: Und der Laden war ja voll, was mich auch erstaunt hatte. Also, klar, unser „Fanclub“, andere Musiker (zum Beispiel Jörg Stein und Henrik Eiler von NEUROT … siehe Fotos), aber auch jede Menge unbekannte Gesichter. Unser Set war nicht sehr lang, so 35-40 Minuten vielleicht. Alles, was wir eben in der kurzen Zeit an Songs hatten. Manche noch gar nicht fertig, was dann eher in Richtung Session lief. „Boys don’t cry“ von The Cure haben wir gecovert … Aber das war die Ausnahme, wir wollten von Anfang an nur eigene Sachen machen.

Reininghaus Live (1987 Michaeliskirch, Leipzig) mit Robert Gläser und Kai ReininghausKai Müller: Die Leute forderten Zugaben, wollten noch etwas länger ihren Spaß, also haben wir einfach das Set wiederholt … Für’s erste Mal lief es super, ich hab jedenfalls keine negativen Erinnerungen.

Kai Reininghaus: Ich auch nicht. Ich glaube, wir haben da noch Wein reingeschmuggelt – da gab’s nämlich keinen Alkohol. Aber so lange feiern konnten wir gar nicht. Der ganze Kram musste ja wieder zusammengepackt und zurück zum Proberaum gebracht werden. So waren die Zeiten …

PS: Die Fotos sind im Original alle schwarz/weiß und hier teilweise nachcoloriert.

A long way: Kai & Kai machen Musik

REININGHAUS, REAL DEAL, Tirsa Perl … seit Mitte der 80iger Jahre machen Kai Müller und Kai „Cairo“ Reininghaus (mit einigen Pausen) gemeinsam Musik. Nun hat Cairo eine alte Aufnahme gefunden, die zurück zu den Anfängen führt und gleichzeitig auch eine Verbindung in die heutige Zeit darstellt. Warum das so ist und was es sonst noch mit „Beauty Face“ – so der Name des verschollenen Songs – auf sich hat, erzählt Reininghaus hier. Und klar: Den Song gibt’s auch zu hören. Aber erst einmal, die Frage, wie alles begann …
******
So richtig los ging es, als ich im Herbst 1986 nach Leipzig zog. Da saßen wir also in unserer frisch eröffneten WG und waren wild entschlossen, eine Band(!) zu gründen. Wir hatten auch schon einen Namen – REININGHAUS. Das war damals in der DDR ein recht seltener Name. Ich kannte niemanden sonst, der so hieß. Gut, es gab auch noch kein Internet, wo man mal schnell gucken konnte. Ich weiß nicht mehr, wer den Vorschlag machte, glaube aber, dass es Herr Müller war.
Müller und Reininghaus Ende 1986 - die Gründungsphase von "Reininghaus"

Müller und Reininghaus Ende 1986 in Leipzig – die Gründungsphase von „Reininghaus“

Kai und Kai machen Hausmusik …

Zu zweit also machten wir eine Art elektronisch verstärkte Hausmusik. Schlagzeug, E-Gitarre, Stimmen. Sehr zum Verdruss der Hausmitbewohner. Vor allem eine ältere Nachbarin klingelte immer wieder und riss uns aus dem schöpferischen Prozess. Die gute Frau. Zumindest trieb sie damit unseren Entschluss, einen Proberaum zu finden, in ungeahnte Höhen. Wir waren gnadenlos aktiv. Und hatten Erfolg. Es gab ja jede Menge Abrisshäuser, damals in L.E. Kurz darauf kamen (zuerst) Robert Gläser und anschließend Franky Heyner dazu, später noch Hannes Ackner. Die Band REININGHAUS war damit komplett.
Müller und Reininghaus in ihrer WG in Leipzig, Anfang 1987

Müller und Reininghaus in ihrer WG in Leipzig, Anfang 1987.

Ein Karton mit alten Tapes …

Die Aufnahme im YouTube Link unten stammt allerdings noch aus dieser ganz frühen Hausmusik-Phase vom November 1986. Ich glaube, es ist das früheste erhaltene Tondokument von Kai & Kai überhaupt. Wir wussten auch gar nicht mehr, dass es sie gab. Im Dezember letzten Jahres fand ich einen Karton mit alten Kassetten, und da, zwischen irgendwelchen zeitgenössischen Radio-Songs, eine fünfeinhalb Minuten lange Zeitkapsel. Ich war baff. Und auch gerührt.
Das Tape, auf der die alte Aufnahme versteckt war.
Ich erinnerte mich, dass wir damals hin und wieder meinen alten Nordmende-Kassettenrekorder (Mono!) anschmissen und aufnahmen. Über das eingebaute Mini-Mikrofon. Ein Witz in Sachen Qualität, Rauschen etc., natürlich. Dafür klingt das Ergebnis aber erstaunlich und das Band hat sich gut gehalten.

Und hier endlich auch … der Song!

1986 | 2021: All die Jahre …

Im Original sind nur die Basic Tracks, also Schlagzeug und eine Gitarre zu hören. Bei dem Gitarrensound fällt mir auch gleich ein, dass ich da einen frisch erworbenen Vermona-Gitarrenverstärker hatte. Mit eingebauten Tremolo-Effekt. Das hört man recht deutlich. Alles andere habe ich einfach so um Weihnachten rum dazu gespielt. So ist eine alter/neuer Song entstanden. Eine Klammer, quasi, zwischen damals und heute.
Kai Müller und Kai Reininghaus 2017 im Proberaum Leipzig. Aktuell heisst ihr gemeinsames Projekt TIRSA PERL.

Kai Reininghaus und Kai Müller 2017 im Proberaum Leipzig. Aktuell heisst ihr gemeinsames Projekt TIRSA PERL. Foto: Felicitas Reininghaus

Hier die Aufnahme „Beauty Face“ (1986/2021) als mp3
****************
Alle Infos zum aktuellen Projekt von Müller und Reininghaus (Tirsa Perl) hier: https://www.reininghaus-media.de/tirsa-perl-2/
*******************
Infos zu REININGHAUS (Ende 1986 – März 1988) hier:
https://www.reininghaus-media.de/reininghaus/
Reichlich Infos zu REAL DEAL (Ende 1987 – Juni 1989)
https://www.reininghaus-media.de/the-real-deal/
++++++++++++++++++++++++++++++

Die Geschichte hinter der Anzeige

Anzeige LVZ zum Reininghaus Konzert am 22.04.1987 in LeipzigHeute vor 30 Jahren waren Robert, Frank, Johannes, Kai & Kai wahrscheinlich ganz schön aufgeregt. Unsere Band „Reininghaus“ hatten wir erst vor ein paar Monaten (so im Januar 1987) gegründet und nun ging’s schon um’s Ganze – die leidige aber doch irgendwie notwendige Einstufung. Ohne die war’s einfach auf Dauer mit den Auftritten sehr beschränkt, denn nur mit ihr konnte man in den Klubs & Kulturhäusern der kleinen Republik (the GDR!) spielen. Weiterlesen